Newsletter I/2017 (Seminar in St. Petersburg, Staudenverwendung etc.)

Liebe Pamina, hallo Papageno!

Du hast die Feiertage hoffentlich gut überstanden und bist schon wieder in deinem Beruf tätig? Oder sehnst du dich bereits auf neue Gartentaten? Letztes Jahr war ich am 12. Januar in Berlin und jeder wünschte sich ein gutes Neues Jahr. Für mich unverständlich, denn das Neue Jahr hatte ja längst begonnen. Aber andere Länder, andere Sitten. Das sei hiermit nochmals geschehen, denn dieser Brief erreicht dich ja schließlich am ersten Tag des neuen Jahres. Hier in Österreich denkt man nur kurz vor und während des 1. Januars an die guten Wünsche, am 2. kehrt schon wieder der Alltag zurück.

Genieße diese Wochen, wo die Natur noch ruht, dies hat bekanntlich alles seinen Sinn! Wenn du Zeit und Muße hast, dann kannst du von deinen Helleboren die alten Blätter abschneiden, das milde Wetter verleitet gerade dazu. Ebenfalls von den Elfenblumen und nimm bitte bei größeren Beständen die Heckenschere, denn sonst jammerst du wieder, dass dir die Sehnen wehtun! Nur so zeigen sich später die Blüten so makellos, wie hier auf dem Bild.

Vor den Weihnachtsfeiertagen kam ich doch noch ganz gehörig in Stress, da die Temperaturen kurzzeitig unter 0 Grad fielen und das Kompostentsorgen auf diese Weise ohne größere Dreckarbeit von statten ging. Da wir unseren Kompost nicht selbst verwerten, muss dieser alle zwei Jahre weggefahren werden, so leid mir auch immer darum ist! Aber wenn man einen Kompostkreislauf für Topferde ordentlich und richtig betreiben will, muss man Zeit, Zuwendung, Muße und vor allem Platz haben, von den Kosten ganz zu schweigen. Alles Faktoren, die in unser Konzept leider nicht passen, zumindest vorläufig nicht. Außerdem ist reiner Kompost für das Versenden von Pflanzen denkbar ungeeignet, da Stauden gegenüber faserreichem Topfsubstrat wesentlich schlechter durchwurzeln als in kompostreicher Erde, abgesehen vom viel höheren Transportgewicht. So verwenden wir einen Teil unseres Kompostes für unsere Schaubeete, die Stauden werden es uns später danken! Über das auftretende Unkraut schweige ich mich aus, denn dies ist leider immer dann ein großes Thema, wenn der Kompost nicht fachgerecht aufbereitet wurde und das Innere nicht heiß genug war, um die Unkrautkeime zum Absterben zu bringen. Aber so viel dazu.

Was hat sich in der Adventzeit bei uns noch alles abgespielt? Bereits im Oktober bekam ich eine Anfrage des Weiterbildungsinstitutes für Landschaftsgärtner und Planer („Zelenaya Strela“, übersetzt Grüner Pfeil) in St. Petersburg, ob ich nicht bereit wäre, Anfang Dezember an zwei Tagen Workshop und Vorträge für rund 25 Teilnehmer zu organisieren und abzuhalten. In meiner Naivität sagte ich zu, weil grundsätzlich jegliche neue Tätigkeit eine kleine Herausforderung darstellt, ohne mir dabei im Klaren gewesen zu sein, was dies alles an Vorarbeit für mich bedeuten würde! Aber St. Petersburg im vorweihnachtlichen Winter hat sicher auch seine Reize, die ich mir nicht entgehen lassen wollte.

Du siehst hier die weltberühmte Eremitage, davor die zugefrorene Neva, und dies um 9 Uhr bei tiefster Dunkelheit!

Meine inzwischen sehr guten Verbindungen zu den dortigen Phloxzüchtern und diversen Fachleuten der Szene hatten anscheinend weitere Kreise gezogen. Ein solches Seminar artete natürlich so richtig in Arbeit aus, sehr viel Vorbereitung, Bilderlisten für die Präsentationen und so weiter. Dimitry Baranov, der Direktor des Institutes sagte mir, alle würden sich sehr freuen, etwas über Blackbox Gardening hören zu können, über Vorgehensweise, Pflege, Auswahl an Pflanzen. Ich dachte, zwei Tage nur über Blackbox Gardening zu reden wäre doch wohl etwas zu einseitig und gerade für einen Praktiker zu ausschweifend. So dachte ich über eine sinnvolle Gestaltung der beiden Seminartage nach und kam zu dem Entschluss, dass man erstens das Rad nicht neu erfinden muss und zweitens bekanntlich viele Wege nach Rom führen.

Was hieß das? Welche Herangehensweise erscheint denn für einen Gartenbauer, Pflanzplaner oder Landschaftsgestalter im Umgang mit Stauden am sinnvollsten? Eine in der Staudenverwendung situationsbedingte Entscheidung zu fällen und somit zu erkennen, welcher Weg der sinnvollste ist, basierend auf einer guten und soliden Grundlage. Gute Pflanzenkenntnisse sind zwar essentiell notwendig, aber in zwei Tagen kann man hier lediglich richtungsweisend agieren, trotzdem ich der Auffassung bin, je besser du deine Pflanzen kennst, umso weniger Arbeit hast du mit ihnen!

So gliederte ich das Seminar in mehrere Teile und lieferte den ersten Part über die Lebensbereiche von Richard Hansen, sozusagen als „dogmatischer Einstieg“, mit vielen Beispielbildern. Daneben aber auch die Historie der Staudenverwendung im Hintergrund, dann die zunächst unterschiedliche Entwicklung der Staudenverwendung in den verschiedenen Ländern, bis hin zu „Dutch Wave“, Neue Staudenmischpflanzungen, „New German Style“ und der Methode mit selbstaussäenden Stauden, auch genannt „Blackbox Gardening“. Ganz neutral, die Teilnehmer sollten sozusagen eine wertfreie Übersicht bekommen. Dies gilt besonders für ein Land, wo zwar natürliche Ressourcen noch mannigfaltig vorhanden sind, wo aber das Verständnis und die Gartenszenerie eher im städtischen Umfeld liegt, wo jedoch eine urbane Pflanzenverwendung die ökologische Komponente nicht ausschließen sollte.

Die Unterschiede der westeuropäischen Staudenverwendungsstile sind ja heutzutage als fließend anzusehen, kein Mensch kann sich mehr sicher sein, einen echten oder einen gefälschten „Oudolf“ vor sich zu sehen, denn dieser naturalistische Staudenverwendungsstil wurde ja teilweise auch schon früher praktiziert und heute in vielerlei Hinsicht kopiert, es gibt schlechte und bessere Lösungen. Aber alles ist einer steten Wandlung unterworfen, niemals stehenbleiben, immer Neues ausprobieren, und diese auch meine Devise ist gut so! Wichtig erschien mir in erster Linie auch, den Teilnehmern Machbares zu erschließen und die Pflegegänge über die Jahre nicht zu vernachlässigen. Winterhärte war ein großes Thema, es wäre vermessen, hier die schönsten Bepflanzungen aus Großbritannien ins nordische St.Petersburg verfrachten zu wollen! Aber hier beginnt die Erfahrung meinerseits und das Zusammenspiel mit den Beteiligten zu wirken.

Ich war trotz allem schon immer ein großer Anhänger der Britischen Gartenkunst und Pflanzenverwendung und kann es daher nicht nachvollziehen, dass bei uns manche Zeitgenossen eine klassische, englische „Mixed Border“ als langweilig, zu kompliziert und zu plakativ abtun. Auf dem Weg nach St. Petersburg las ich wieder einmal das Buch „Dear Friend and Gardener“, der Briefwechsel von Beth Chatto und Christopher Lloyd. Gegensätzlicher konnten die Ansichten zweier Gärten und ihrer Besitzer kaum sein und trotzdem stimmte die Chemie zwischen diesen beiden großen Gärtnern. Das Buch zeigt wie kein anderes auf, dass nicht der eine oder andere Stil das Nonplusultra ist, weil dieser gerade durch alle Zeitschriften wandert, sondern es nur ein „Sowohl als auch“ geben kann, geprägt von gegenseitiger Toleranz und Hochachtung. Ein Buch, dass übrigens auch in Deutsch erschien, welches ich dir nur wärmstens empfehlen kann, man merkt hier, dass der Horizont nicht nur mit der Staudenrabatte beginnt und über die Rasenpflege und beim Pflegezeitaufwand endet, sondern alles sehr vielschichtiger und ungleich spannender ist. Dieser Briefwechsel zwischen Beth und Christo war mir ein Stück weit Vorbild und animiert mich immer wieder auf ein Neues, dich mit meinen Ansinnen zu torpedieren!

Hier eines der Staudenbeete in Great Dixter, die von Christopher Lloyd angelegt wurden. Es beinhaltet einjährige, ausdauernde und verholzende Pflanzen, ich betrachte dies als hohe Kunst der Pflanzenverwendung!

Als einen wichtigen Grundpfeiler der modernen Staudenverwendung sehe ich es auch an, dass die Natur nicht geknebelt werden will, sondern jeder pflegende Gartenbesitzer auch ein Stück weit Dynamik zulässt. Und auf der anderen Seite sinnvolle Pflege keine Mega-Arbeit sein muss und die Kosten mit der entstehenden Ästhetik über die Jahre allemal gedeckt sind. Dass Stauden sich viel toleranter zeigen, als so allgemein angenommen wird und dass man gar keine abstrakten Wege der Pflanzensoziologie beschreiten muss, um sich deren Verwendung zu erschließen. Aber ich bin auch ein entschiedener Gegner von populistischen Ideen und Beschönigungen, denn gar so einfach stellt sich die Materie auch wieder nicht.

Zurück zu den Teilnehmern in St. Petersburg. Dieses Seminar war anstrengend, wohl für beide Seiten, aber ein Erlebnis und ein Gewinn für alle! Alle waren sie mit Akribie dabei, sie kamen teilweise sogar von wesentlich weiter her, über den Entfernungsbegriff in Russland brauche ich wohl nicht näher einzugehen. Am dritten Tag hielt ich noch einen Vortrag vor einem recht großen, gemischten Publikum, bestehend aus Laien und Pflanzennarren aller Art, es waren aber auch Berufsgärtner darunter. Dieser fand im gleichen Saal statt, wo die alljährliche, schon legendäre Phloxausstellung stattfindet. Die Zuhörer fanden gerade noch genug Platz! Du wirst dich sicher fragen, in welcher Sprache das Ganze abgehalten wurde? Ich hielt meine Vorträge die ganze Zeit in englischer Sprache, Anastasia übersetzte ins Russische. Wir kannten uns schon von den Phloxausstellungen, sie hatte Botanik studiert und war insofern gewappnet, die passende Ausführung auf Russisch zu geben, wenn ich einmal kurzzeitig nach dem richtigen Begriff suchte. Der krönende Abschluss war dann ein herrliches, georgisches Essen zusammen mit Dmitry!

Diese Vorträge sind neben dem Aktualisieren des Webshops und einigen Manuskripten für Fachzeitschriften inzwischen zu meiner fixen Winterbeschäftigung geworden, dies betreibe ich nun schon seit über zwanzig Jahren so. Ob Vorträge nun wirklich als lukrativ angesehen werden können, bleibt eine Streitfrage, manche verneinen dies entschieden, ich sehe es als eine eher längerfristige Erfolgsschiene. Ich frage mich trotzdem manches Mal, ob sich in Sachen Vorträge ein selbständiger Staudengärtner überhaupt mit einem Unternehmer aus der freien Wirtschaft vergleichen darf oder die Ähnlichkeit mit einem freischaffenden, um nicht zu sagen brotlosen Künstler sehr viel eher zutrifft. Jedenfalls sind uns in dieser Angelegenheit finanzielle Grenzen gesetzt. Stolze Honorare werden in unserer Branche in der Regel höchstens nach dem Bekanntheitsgrad des Referenten und nach schönen Bildern honoriert und weniger nach tiefer reichendem Inhalt, wie es scheint. Mancher mittelprächtige Volksmusik-Popstar füllt die Hallen, während komplexer Freejazz oder hoch stehende Kammermusik kümmerliche Nischenprodukte sind. Ein Vergleich, der nicht hinkt oder wohl eher „gewusst wie“?

In anderen Berufsbranchen musst du als Vortragender gar nicht wirklich bekannt sein, dagegen jedoch sehr inhaltsvoll und zahlenreich agieren. Je mehr Zahlen und Fakten, je abstrakter, desto mehr wird gezahlt, kommt mir fast vor. Wenn ich mir die Vortragshonorare aus Branchen wie der Ökonomie oder dem Bankwesen betrachte, kommen mir die Tränen, sie stammen aus astronomischen Höhen. Besitzen unsere Themen denn einen so geringen Stellenwert in der Gesellschaft?

Um beim Thema Garten zu bleiben, besteht natürlich ein Unterschied, ob ich vor einem Waldfeldundwiesen-Verein spreche, dessen Budget von begrenzter Höhe ist oder ob ich ein zahlungskräftiges Unternehmen oder ein berufsbildendes Seminar im Hintergrund habe. Der Inhalt ist leider oft zweitrangig, der erforderliche Zeitaufwand ist allerdings stets derselbe. Ich habe schon desöfteren für mich als Referenten zutiefst langweilige, nicht sehr förderliche „Bla-Bla“-Staudenthemen fernab jeglichen Inhalts vor Gartengestaltern gehalten, die lediglich einfache Alibi-Lösungen zum Nachmachen wollten. Die Teilnehmer haben mich nur angestarrt und verstanden immer noch Bahnhof, ich kam mir vor wie auf einem anderen Stern und wurde am Schluss geradezu fürstlich entlohnt. Ist dies zielführend? Nein, das ist zutiefst frustrierend, da will man am liebsten seinen Beruf an den Nagel hängen! Ich will hier überhaupt nicht jammern, man kommt schon zu seinem Geld. Aber allein der Unterschied zwischen Gärtner und Nichtgärtner spricht manchmal Bände, auch die Spanne zwischen Laien und Berufsgärtner, die im Pflanzenwissen immer weiter auseinanderklafft. Wenn du nicht sattelfest bist, deckt dir so mancher Laie deine Fehler ohne Scham auf. So stehen heute die Aktien!

Wir greifen ja nicht nach den Sternen, was die Geldgeschichte anbelangt, sondern wollen nur glücklich bleiben! Ein erhebendes Glücksgefühl entsteht, wenn man seinem Publikum das Thema ausreichend nahebringen konnte und dies mit einem abschließenden, langen Applaus honoriert wurde. Und die Zuhörer sich auch Jahre später an dich erinnern, vielleicht an den einen kritischen und unbequemen Referent oder an den anderen, der die Schönheiten unserer Staudenwelt und das „Gewusst wie“ nahebrachte. So ist dann das Geld tatsächlich zweitrangig geworden.

Falls es dich interessiert, so bin ich diesen Winter an verschiedenen Orten, die ich bereits in unserem Veranstaltungsprogramm unter „Vorträge im Winterhalbjahr“ verewigt habe. Ich würde mich freuen, wenn wir uns irgendwo wiedersehen.

Soviel als Einstieg zum Neuen Jahr. Das nächste Mal möchte ich mich wieder einem pflanzlichen Thema widmen. Denn im Februar spürt man ja schon in den äußersten Zehenspitzen den herannahenden Vorfrühling!

Bis dahin sei auf das Herzlichste gegrüßt

Dein Staudengärtner Sarastro

Christian H. Kreß (hier mit einem Teil der Teilnehmer des Seminares in St.P.)

Viele Grüße/ Best regards/ С уважением

Christian H. Kreß

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