Newsletter II/2018 (Antiquarische Bücher, alte Staudensorten)
Liebe Pamina, hallo Papageno!
Momentan sitze ich in meinem alten Büro und überlege, über welche Stauden ich dir diesmal wohl schreiben könnte. Hier in diesem Raum erfüllte ich mir vor zwei Jahren einen Wunschtraum, schmiss all die vielen Ordner und Kataloge hinaus, übersiedelte sie in die Gärtnerei in unser neues Büro und richtete mir hier eine private Gartenbibliothek ein. Dabei wurde natürlich gehörig entrümpelt und weggeschmissen, wobei du diese Aktion vielleicht als fahrlässiges und achtloses Entrümpeln bezeichnet hättest, andere deiner Freunde hingegen dies immer noch als zu viel bezeichnen würden – man weiß ja nie, man könnte ja noch brauchen…
Alte Kataloge – wertvolle Nachschlagewerke und daher ein Stück Gartenkulturgut oder schlichtweg Staubfänger? Ich entstamme einer Sammler- und Jägerfamilie, zumindest väterlicherseits. Da wurde so manches gehortet und gesammelt, Trophäen, Versteinerungen und anderes mehr. Andere Teile meiner Verwandtschaft schmissen ebenfalls nie etwas weg, denn es könnten ja bald wieder schlechte Zeiten anbrechen. Bekannte von mir richteten ihr Haus in den 80er-Jahren ums teure Geld komplett neu, dem Zeitgeist entsprechend ein und verwarfen all den in ihren Augen „alten Schrott“, jene aus Vollholz gefertigten, herrlichen Jugendstil- Art Deko- und Biedermeier-Möbeln, um die ich jeden beneide, der sie überhaupt noch stehen hat. Aber die Geschmäcker sind eben verschieden.
Du kennst sicher in deinem Umfeld auch das Gegenteil, nämlich Leute, deren Haus und der dazugehörende Garten samt ihrem persönlichen Inventar derart auf das Lebensnotwendige beschränkten, so dass sogar Minimalismus immer noch zu viel des Guten ist, nach dem Motto des Wiener Kabarettisten Helmut Qualtinger „Za wos brauch i des!“.
Und ich kenne auch gar nicht so wenige, bei denen kein Buch im Regal landet, welches nicht von hinten bis vorne akribisch gelesen wurde. Also nichts mit Sammeln alter Bände! Ein Buch von Wocke über Alpenstauden von 1924? Ohnehin längst überholt, ja schon nomenklatorisch hinterm Mond! Einen Jahrgang der Zeitschrift „Gartenschönheit“ von 1923? Die stammt von Anno Tobak – das interessiert doch keinen Menschen mehr! Ein Katalog von Kayser und Seibert aus dem Jahre 1956? Ebenfalls aus dem „ Jahre Schnee“, die Sorten von damals bekommt man größtenteils kaum angeboten, außerdem existiert die Firma längst nicht mehr, also nichts wie weg damit!
Habe ich dir eigentlich schon einmal erzählt, dass meine Großmutter in ihrer Jugend Gärtnerin an der Gartenbauschule in Bad Godesberg lernte? Ihre Schulbücher stehen bei mir im Bücherschrank. Als ich sie das erste Mal in den Händen hielte, staunte ich nicht schlecht über die vielen Fußnotizen und Randbemerkungen, geschweige denn über diese immense Fülle an Pflanzenwissen, die damals den Schülern feilgeboten wurde, die heutigen Lehrlinge würden sogleich die Waffen strecken und nach Luft japsen! Diese Bücher behielt ich natürlich, diesmal aus rein nostalgischen Gründen, nicht weil ich sie unbedingt brauche. Ein Katalog von Kayser und Seibert ist auch nach heutigen Maßstäben unerreicht, die Artikel in der „Gartenschönheit“ würde heute wegen des scheinbar schwulstigen Schreibstils kaum wer lesen, aber sie sind fachlich absolut hochkarätig und inhaltlich auf allerhöchstem Niveau. Das sollte endlich einmal gesagt werden!
Meine Gedanken schweifen weiter. Der Ausdruck „Jäger und Sammler“ wird ja heute auch auf Garten und dessen Pflanzen bezogen. Und schon sind wir bei den alten Staudensorten angelangt. In einer Zeit, wo immer mehr Uniformität einhergeht, wo Stauden mit Patenten und Sortenschutz ausschließlich über Großkonzerne und Jungpflanzengärtnereien vertrieben werden, ist zum Glück ein Teil unserer Mitmenschen aufmerksam geworden und denkt darüber nach, welche positiven Eigenschaften in den alten Sorten stecken. So wurden alte Obst- und Gemüsesorten wieder en vogue, wenngleich in geringen Prozentzahlen, aber immerhin. Historische Rosen eroberten sich dadurch wieder eine gewisse Marktposition. Und so verhält es sich auch bei den Stauden. Du wirst sicher eine ganze Menge dieser alten Staudenschätze in deinem Garten dein Eigen nennen und sie mit den Jahren lieben gelernt haben! In nahezu jeder Staudengattung finden wir alte Sorten, die es schafften, in die heutige Zeit zu überdauern, dank ihrer Qualitäten und dank der Liebhabern wie dir und mir.
Nun stellt sich gleich wieder die Frage des kritiklosen Hortens und Bewahrens, ohne Wenn und Aber? Und hier behaupte ich ganz klar, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, alles an Pflanzen aufzubehalten, nur weil es sich um nostalgische, scheinbar verblichene Sorten handelt. Ein Buch steht im Schrank, nimmt nicht allzu viel Platz weg und kann im Laufe der Jahre im Wert steigen, aber auch bis zur Wertlosigkeit absinken, Angebot und Nachfrage, sowie die Thematik und dessen Inhalt bestimmen hier den Preis. Ähnliches trifft sicher auch bei unseren Stauden zu, nur spielt hier der viel rasantere, züchterische Fortschritt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wir müssen bei Pflanzen ganz klar lernen, zwischen Spreu und Weizen zu unterscheiden.
Und dies möchte ich dir am Beispiel der Teppichprimeln verdeutlichen. Die guten, alten Teppichprimeln (Primula x pruhoniciensis) sind in letzter Zeit fast gänzlich von der Bildfläche verschwunden, der Grund war die Züchtung von Saatrassen, die wie die Echten Teppichprimeln aus Primula juliae und Primula vulgaris entstanden und ganz ähnliche Farbspiele aufwiesen. Die Aussaat ist eine bei Primeln wesentlich rationellere und daher billigere Methode, diese Vermehrung aber spricht leider vollkommen gegen die Echte Teppichprimel, deren alte Sorten im Gegensatz zu den Saatsorten reichblühende, dichte Teppiche über viele Jahre bildeten. So verschwanden diese an sich sehr gartenwürdigen Primelsorten mehr und mehr. Damals zu meiner holländischen Zeit vermehrten wir Sorten wie ‘Wanda‘, ‘Ostergruß‘, ‘Betty Green‘, ‘Lize Green‘, ‘Gartenmeister Bartens‘, ‘Helge‘, ‘Purpurkissen‘, ‘Schneekissen‘ und viele weitere in großen Stückzahlen. Noch vor 15 Jahren waren sie noch vereinzelt bei den Kollegen zu finden, heute muss man nach ihnen suchen, was geradezu einer kriminalistischen Kleinarbeit nahekommt. Ich hatte große Mühe, einige dieser alten Sorten überhaupt wieder zu bekommen, was ich einigen deinen Sammler- und Jägerfreunden zu verdanken habe, die sie im Garten stehen hatten.
Ein weiteres Beispiel sind die Ritterspornsorten (Delphinium), viele davon allgemein als Foerster-Rittersporne bekannt. Klingende Namen wie ‘Berghimmel‘, ‘Gletscherwasser‘, ‘Frühschein‘, ‘Perlmutterbaum‘, ‘Finsteraarhorn‘ und viele andere kommen einem in den Sinn. Diese müssen aufwändig durch Teilung und grundständige Stecklinge vermehrt werden, dazu ist eine umfangreiche Mutterpflanzenhaltung notwendig. In Deutschland sind davon noch etliche Sorten in Kultur, wenngleich natürlich längst nicht mehr alle. Samensorten wie die Pacific- und University-Hybriden machen seit Jahrzehnten die Runde. Innerhalb weniger Monate besitzen wir kräftige Verkaufspflanzen. Aber – auch hier stellen die alten Sorten die weitaus besseren und vor allem die gartenwürdigeren Stauden, denn sie sind nicht nur wesentlich standfester, sondern überdauern viele Jahre, während die Samensorten nur kurzlebig sind. Dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass sie immer noch in Kultur sind, wenngleich ausschließlich im deutschsprachigen Raum. Darüber hinaus haben sie noch nie eine Rolle gespielt, schon in Holland und England wirst du sie kaum finden.
In der Schweiz, aber auch in Großbritannien waren vor dem Krieg und auch die Zeit danach alte Lupinensorten verbreitet, die nur aufwändig über grundständige Stecklinge vermehrt werden konnten. Beispielsweise waren die Sorten ‘Bernina‘, ‘Albula‘ und ‘Thundercloud‘ verbreitet und beliebt. Hier konnten sich die aus Samen echt fallenden Farbsorten mit Erfolg durchsetzen, denn diese standen in ihren Vorzügen den alten Sorten um nichts nach. Natürlich hätte ich auch ganz gerne jene tolle ‘Thundercloud‘ in meinem Garten, diesmal sogar aus echter Nostalgie heraus. Hier müsste eine Laborvermehrung stattfinden, wenn die Nachfrage da wäre!
Vom Sonnenauge (Heliopsis) besitzen wir wahrscheinlich die letzten Exemplare einer sehr niederen Sorte, die beinahe in Vergessenheit geriet. Heliopsis scabra ‘Sommerzwerg‘ wird nur 60 cm hoch und wurde einst in der Ex-DDR selektiert, ich bekam sie von Siegmar Poltermann aus Erfurt. Leider ist sie eine Zicke in der Vermehrung, wir können jedes Jahr nur wenige Exemplare anbieten. Sie hat zweifelsfrei große Vorzüge, aber vielleicht ging sie gerade wegen ihrer schwierigen Vermehrbarkeit unter? Unten kannst du sie zwischen Agastachen bewundern.
Und noch zwei spannende Geschichten weiterer historischer Staudenschätze möchte ich dir kurz erzählen. Anemone sylvestris ‘Flore Pleno Elise Fellmann‘ entstand in Norddeutschland, als derzeit einzige tief gefüllte Weinberganemone. Sie lässt sich ausschließlich über Wurzelschnittlinge oder durch unergiebige Teilung vermehren. Diesen Schatz fand ich vor vielen Jahren in der Sortiments- und Versuchsgärtnerei Simon in Marktheidenfeld, einige wenige Exemplare standen herum. Durch mühevolle Aufbauarbeit konnte nach Jahren endlich ein ansehnlicher Bestand aufgebaut werden, damals war ich noch nicht selbständiger Staudengärtner. Es gibt zwar schwierigere Stauden, aber dennoch ist dies nichts für den ungeduldigen Gärtner, wenngleich diese weiß blühende Sorte später im Garten keinerlei Probleme macht. Gib ihr einen guten Boden in halbschattiger Lage, dann wächst sie auch.
Ganz ähnlich verhält sich Anemone ‘Lesserii‘. Es ist dies eine Russische Waldanemone, wenngleich sie keine reine Waldanemone darstellt. Sie entstand vor rund 80 Jahren in Jekaterinburg durch eine Kreuzung aus der weißen A. sylvestris mit der roten A. multifida. Es entstand eine sterile Hybride mit relativ großen, kardinalroten Einzelblüten, die ausschließlich vegetativ vermehrt werden kann und ungefähr 50 cm hoch wird. Unsere Pflanzen stammten ursprünglich noch von Kees Verboom aus Boskoop in Holland. Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, wie ich damals bei ihm vor einem langen Beet blühender A. x lesserii stand. Die Farbe schreit geradezu, wirkt fast ein wenig unwirklich und hat daher eine hervorragende Fernwirkung. Meines Wissens hatte diese Sorte schon damals niemand anderer mehr. Kees Verboom gehörte damals noch der alten Staudengärtnergilde in Holland an, von der ich damals noch einige kennenlernen durfte. Auch er war ein Sammelmensch, sehenswert war übrigens ganz nebenbei seine umfangreiche Uhrensammlung. Leider finden wir unter Anemone ‘Lesserii‘ hin und wieder gute Typen von Anemone multifida angeboten, die jedoch Samen produzieren und daher nichts mit der echten Sorte aus Russland zu tun haben. Eine tiefer gehende Beschreibung findest du in unserem Webshop. Leider vermehrt auch sie sich recht unergiebig und kann allein deswegen niemals zur Massenware werden.
Völlig aus der Mode gekommen sind die guten, alten Sorten von Saxifraga x arendsii, hier ist leider kaum noch etwas vorhanden! Diese so wunderbaren Frühlingspolster wie ‘Riedels Farbenkissen‘, ‘Harders Zwerg‘, ‘Carnival‘ oder ‘ Laura‘ – einfach verschwunden! Ebenfalls ist das große Sortiment der Polsterphloxe und Blaukissen nahezu auf Fragmente geschrumpft, wie es scheint offenbar auch eine reine Modesache. Hier musste ich mich selbst zur Decke strecken, aber man kann einfach nicht alles behalten, hier klopft die ökonomische Seite in mir energisch an! Vielleicht findest du sie in zwanzig Jahren wieder attraktiv, wer weiß? Aber dann ist vieles verschwunden und das Sammeln, Züchten und Selektieren beginnt wieder von Neuem. Und hier frage ich mich, ob nicht ein Erhaltungsgarten alter Sorten sinnvoller wäre….?
Alte Duftveilchen und Hornveilchensorten werden gelegentlich angeboten. Bei Viola odorata besteht die Schwierigkeit darin, sie über die Jahre echt zu erhalten, da teilweise Selbstaussaat vorprogrammiert ist und man bei der Vermehrung durch Risslinge sehr sauber arbeiten muss, damit sich keine der Sämlinge einschleicht oder aufgetretene Sämlinge die Originalsorte verdrängen. Dies kann dir übrigens bei Astern ebenso passieren!
Und deswegen sind manche historische Sorten leider auch gar nicht mehr echt in Kultur. Hier sollte überlegt werden, ob diese Stauden überhaupt noch unter dem alten Namen weitergeführt werden sollen. Leider finden sich immer weniger Fachleute, die viele der echten, alten Sorten noch richtig ansprechen können. Genaue Beschreibungen gibt es leider nur in den seltensten Fällen. Beispielsweise bei den alten Sorten der Hohen Herbstanemonen weiß ich leider ein Lied davon zu singen, denn einige davon sind kaum mehr echt in Kultur, es kursieren gleich mehrere Typen unter ein und demselben Sortennamen. Für mich das beste Beispiel ist Anemone (Autumn Flower Group) ‘Septembercharme‘, teilweise auch die alte ‘Honorine Jobert‘, sowie ‘Königin Charlotte‘. Auch bei den Scabiosen, Astern und Astilben ist etliches falsch im Umlauf, wer hat denn noch die echte, großblumige, weißblühende Scabiosa caucasica ‘Miss Willmott‘? Und wenn die tief gefüllten, historischen Glockenblumen nicht ständig durch Teilung vermehrt oder durch Verpflanzen vital erhalten werden, hat man auf Dauer nichts von ihnen und sie wachsen quasi zurück und werden weniger und weniger. Ich konnte dies selbst oft genug miterleben!
Wir müssen also die Vorzüge alter Staudensorten erst kennen, sie analysieren und dann aber auch schätzen lernen. Beispiele gäbe es mehr als genug. Am meisten vorhandene Sortimentsfülle ist noch bei den Pfingstrosen und den Iris zu finden. Viele der uralten Schwertliliensorten sind vorzügliche Blühstauden, ohne Wachstumsdepressionen wie bei vielen der neueren und neuesten Sorten. Etliche der älteren Hemerocallis lassen sich wesentlich harmonischer in ein Gartenbild einfügen als ihre neuesten, ultragerüschten, farblich so grausig entstellten Töchter. Auch hier gilt es, realistisch zu überlegen. 65.000 registrierte, alte und neue Tagliliensorten können vor lauter Nostalgie gärtnerisch ebenso wenig bewahrt werden wie die mehr als 50.000 Rosensorten, die es inzwischen gibt (oder gab).
Das war ein kleiner Exkurs in eine gänzlich andere Welt, die wir vielleicht viel zu wenig beachten.
Über unsere viel zu milden Winter mache ich mir ehrlich gesagt wesentlich mehr Kopfzerbrechen als über die Bewahrung historischer Sorten. Hier ist es so mild wie schon lange nicht. Hoffentlich kommt nicht wieder das dicke gegen Ende des Februars!
Achtung: durch die ungewöhnlich milden Temperaturen kann es sein, dass wir unser Schneeglöckchenevent auf Mitte Februar vorverlegen! Bitte achten Sie diesbezüglich auf Hinweise auf der Startseite unter www.sarastro-stauden.com
Es grüßt dich dein Staudengärtner Sarastro
(Bild von Rachele Cecchini)
Viele Grüße/ Best regards/ С уважением
Christian H. Kreß und Mitarbeiter