Newsletter III/2019 (Eryngium, Taraxacum)
Liebe Pamina, hallo Papageno!
Es geht wieder aufwärts, die Tage werden länger und ich scharre schon regelrecht mit den Hufen! Ich will keine Vorträge mehr halten, auch das Schreiben ist mir über. Zu lange saß ich vor dem PC. Noch aber ist die Witterung unsicher, besser es bleibt noch kühl und unbeständig als viel zu mild. Mir sitzt immer noch das letzte, brutale Frühjahr im Nacken, mit Grausen erinnere ich mich an die vielen Totalausfälle unter unseren Stauden, die durch diese letztjährige, sehr späte, eiskalte Ostströmung verursacht wurde.
Dieses Mal möchte ich dir eine Staudengattung vorstellen, welche am richtigen Standort zuverlässig winterhart und äußerst ausdauernd ist. In Deutschland ist es seit vielen Jahren üblich, eine „Staude des Jahres“ zu küren, die dann in allen Fachzeitschriften promotet wird. Dazu wurden alle möglichen Stauden ausgewählt, die Elfenblumen, die Taglilien, die Echinacea und andere Gattungen waren schon dran. In diesem Jahr ist es die Gattung der Mannstreu (Eryngium). Man hat nicht auf eine besondere Art Rücksicht genommen, sondern gleich die ganze Gattung für diesen Zweck ausgewählt. Besiehst du dir die Blüten, so kommst du sicher nicht gleich drauf, dass diese zu den Doldenblütlern gezählt werden. Eryngium sind keine Massenartikel, sie werden es wohl nie werden und du bekommst sie auch nicht an jeder Ecke zu kaufen. Und was noch gesagt werden muss: ihre eigentlichen Qualitäten offenbaren sich erst nach einigen Jahren, wie bei so viele andere Stauden auch. Eryngium werden ganz allgemein schon wegen ihrem distelartigen Aussehen stets mit Trockenheit in Verbindung gebracht. Dies trifft aber nur auf einige wenige Arten zu.
Beginnen möchte ich mit dem ganz gewöhnlichen Alpen-Mannstreu (Eryngium alpinum). Diese Staude ist jedoch in unseren Gärten alles andere als gewöhnlich und selbst in der Natur nur selten zu sehen, es wächst an wenigen Stellen der Südalpen. Im Garten schätzt es den von mir so gern zitierten, frischen Boden, der ausreichend Humusanteile besitzt und nie ganz austrocknen sollte. Zu meiner Volontärzeit in den Niederlanden konnte ich bei einigen Schnittstaudengärtnern beachtliche Felder davon sehen, die zur Blütezeit prächtig waren und sicher einiges an Geld einbrachten, denn es dauerte wohl ein paar Jährchen, bis man hier mit einer vollen Ernte der Blütenstängel rechnen kann. Eryngium alpinum braucht einen gut gepflegten Boden, reichlich Nährstoffe und eben nicht allzu trocken. Ein lichter Halbschatten wäre für ein gutes Gedeihen ebenfalls von Vorteil.
Auch einige andere Arten verbinden viele Staudenliebhaber mit trockenen Standorten. Als ich Mitte der 90er-Jahre Marokko bereiste, entdeckte ich im Gebirge des Hohen Atlas in etwa 3.500 m Höhe das so bizarre Eryngium variifolium. Wo wuchs es? In nassen Quellfluren, zwischen grasigem Grün, aber trotzdem in einer äußerst sonnigen und trockenen Umgebung. Wir waren im Hochsommer dort oben, gegenüber am Hang wuchsen riesige, beeindruckende Polster des rosa blühenden Steinkrautes (Ptilotrichium spinosum), allenorts konnte ich den Atlasschwingel (Festuca mairei) bewundern. Schon allein die Blattrosetten dieses Mannstreues sind durch ihre weiße Maserung sehr dekorativ. Richtig bizarr aber zeigen sich die hellen Zickzack-Blütenstände, während die eigentlichen Blüten eher von unscheinbarer Natur sind. Im Garten ist Eryngium variifolium sehr anspruchslos und kann überall dort Verwendung finden, wo dieser bizarre Charakter auch gut zur Wirkung kommt.
Es ist für mich immer wieder von Neuem ein Erlebnis, aus Kultur bekannte Stauden in freier Natur zu erleben, wie sie wachsen und vor allem mit welchen anderen Pflanzen sie zusammen vorkommen. So sah ich die silbrigblaue Eryngium bourgatii in den Pyrenäen, die zwergige Eryngium spinalba in der Dauphine Frankreichs und die auffallend blaue Eryngium amethystinum im Velebitgebirge Kroatiens. Besonders letztere beeindruckte mich nachhaltig, da diese Art im Spätsommer mit ihren metallisch glänzenden, lilablauen Distelblüten ganze Landstriche und Hochflächen in den Berggegenden auffällig in einen blauen Schimmer tauchen. Leider habe ich von diesen Arten ausschließlich Diapositive und diese geben in eingescannten Zustand niemals ihre Farbe so wieder, wie sie sich in der Natur darstellen.
All diese Arten sind durch Samen gut vermehrbar, wenngleich es sich hierbei um Kaltkeimer handelt, die man besser schon im Vorjahr aussät. Diejenigen unter uns, welche sich mit gärtnerischer Vermehrung intensiver beschäftigen, werden nicht umhinkommen, Mannstreu auch über Wurzelschnittlinge zu vermehren, da man so auf eine gleichmäßige Qualität kommt.
Wenn du mit einer sehr leicht gedeihenden Art anfangen möchtest, dann rate ich dir zu Eryngium planum, die du als nächstes im Bild siehst. Die zahlreichen Blütchen sind ebenfalls stahlblau ausgefärbt, die Pflanzen vertragen Trockenheit extrem gut und es existieren einige kompakte Auslesen.
Und da fällt mir doch gleich wieder diese nette Geschichte zur Elfenbeindistel ein. Sicher hast du sie schon zum X-ten Mal gehört, aber ich will sie dir doch nochmals zum Besten geben, denn sie ist heute so aktuell wie damals. Im 19. Jahrhundert lebte in England eine vornehme Dame namens Frau Willmott. Sie war bekannt für ihre Pflanzensammelleidenschaft und ihren peniblen Umgang in allen Gartenfragen. Regelmäßig wurde sie besucht, aber sie nützte auch jede Gelegenheit aus, um viele ihrer Gartenfreundinnen aufzusuchen. In ihrem Garten wuchs seit vielen Jahren Eryngium giganteum, diese sehr auffällige, zweijährige Elfenbeindistel aus dem Kaukasus. Miss Willmott wunderte sich immer, warum sie sie in keinem anderen Garten antraf, denn zur Blütezeit ist die Elfenbeindistel eine echte Schau, welche Struktur und Ordnung in eine Pflanzung bringt. Da beschloss sie eines Tages, diesem Mangel abzuhelfen. Ausgraben ist schwierig, da sie eine Pfahlwurzel bildet und sich nur schwer verpflanzen ließ. Sie sammelte also Samen von Eryngium giganteum und streute diesen bei all ihren Gartenbesuchen unauffällig in den Gärten ihrer Freundinnnen aus. Normalerweise erscheinen im ersten Jahr die frisch grüne Rosetten, welche dann im zweiten Jahr ihre prächtigen, silbergrauen Blüten hervorbringen. Und so geschah es dann auch in den vielen Gärten der zahllosen Bekannten von Frau Willmott, welche es mit dem Jäten nicht so genau nahmen und daher die aufkeimenden Edeldisteln stehenließen. Überall erblühten Eryngium giganteum gleichzeitig, während sich ihre Freundinnen fragten, wie diese Pflanze wohl den Weg in die Gärten nahm, bis dann irgendwer hinter das Geheimnis kam. Seither spricht man im gesamten englischsprachigen Raum nur noch von „Miss Willmott’s Ghost“, dem Geist von Frau Willmott, jeder weiß, um welche Pflanze es sich dreht. Ist doch eine nette Geschichte, oder?
Ich will ja nicht boshaft sein, aber könnte man nicht all jene gräßlichen, leblosen Kiesschüttungen unbemerkt bei einem abendlichen Spaziergang mit dem Kalifornischen Mohn (Eschscholzia californica) behübschen, das wär doch immerhin schon ein Fortschritt! Du kannst dies ja als „Guerilla Gardening“ entschuldigen. Ist wohl eine zynische Fortsetzung des „Blackbox Gardening“? Das Schlimme daran ist leider, dass all die Leute stolz auf ihre „Steingärten“ sind, man kann ihnen dabei nicht einmal böse sein, denn viele wurden leider von Fachleuten errichtet. Aber ich will dieses leidige Thema nicht wieder aufrollen, schlimm dabei ist nur, dass so viele Gartenbesitzer gar nicht wissen, was es mit einem echten Steingarten auf sich hat!
Seit geraumer Zeit existieren auch einige Hybriden von Eryngium, die aber immer seltener in gärtnerischer Kultur und somit auch in den Gärten zu finden sind, weil sie ausschließlich vegetativ, also über die Wurzelschnittlingsmethode vermehrt werden. Eryngium x zabelii ‘Violetta‘ und ‘Blauer Ritter‘ sind noch einigermaßen verbreitet. Letztere hat zahlreiche, stahlblaue Blüten an stabilen Stängeln. Sie eignet sich für vielerlei Einsatzmöglichkeiten, nahezu überall im Staudenbeet! Wichtig ist stets ein guter Wasserabzug bei lehmig-sandigem Boden.
Die Sorte ‘Blauer Ritter‘ besitzen wir schon länger, sie wurde von Eugen Schleipfer aus Augsburg gezüchtet. Mit Eugen verbindet mich eine langjährige Pflanzenfreundschaft. Schon die Kakteengärtnerei seines Vaters war mir seit meiner Jugend ein Begriff, da mein Vater ebenfalls aus Augsburg stammte. Eugen Schleipfer hat unzählige Stauden selektiert und benannt, besonders auf dem Alpenpflanzensektor, aber in neuester Zeit auch bei Astern, Phlox und Chrysanthemen. Zuletzt telefonierte ich mit ihm kurz vor Weihnachten, was schon einer gewissen Tradition obliegt. Bei Eugen hat man Zeit einzuplanen, aber man wird dies niemals bereuen. Eugen hat sich im Laufe seiner vielen Jahre als Gärtner mit unzähligen Problemgattungen auseinandergesetzt. Ich konnte bereits Anfang der 80er-Jahre auf seinen Feldern Bitterwurz (Lewisia), Herbstenzian (Gentiana sino-ornata-Sorten), Rosmarin-Seidelbast (Daphne cneorum) und einige andere Highlights sehen, und dies in Massen, von denen viele Staudengärtner damals nicht einmal zu träumen gewagt hatten!
Im letzten Telefonat diskutierten wir über dies und das, und zum Schluss sagte er mir mit seiner Schlagfertigkeit folgenden Satz, worauf ich sehr lachen musste: „Warum soll ich mich krampfhaft mit Oncocyclus-Iris, Dionysien und anderen heiklen Pflanzen herumplagen, wenn ich mit Löwenzahn gutes Geld verdienen kann!“ Ich dachte, das kann ja wohl nicht dein voller Ernst sein! Aber ja, im nächsten Moment war mir klar, es stimmte tatsächlich, ich machte ja die selbe Erfahrung. Vor zwei Jahren hatte ich zwei Kisten voll blühender Taraxacum pseudoroseum in Wien bei der Raritätenbörse mit. Diese erfreute mich und meine Kunden natürlich sehr, denn Löwenzahn in Rosa mit gelber Mitte war schließlich nichts Gewöhnliches. Müssen wir diesen im Garten haben? Ja, was muss man eigentlich? Es gibt Löwenzahnarten in Orange, in Gelb, in Weiß und in Rosa, mit grünen Blättern oder sogar mit dunkelweinroten Blättern. Wir alle haben doch den Hang zum Kick, wir sammeln und lieben das Außergewöhnliche. Und dass diese Löwenzahnarten aus Zentralasien jemals zum großen Unkraut werden, dass wird nicht sein, das darf ich dir jetzt schon versichern!
Am 4. März beginnen wir mit unserer Schneeglöckchenwoche. Wir bieten nicht nur Schneeglöckchen an, sondern jede Menge anderer Vorfrühlingsblüher, beispielsweise Lenzrosen, Winterlinge und Zyklamen.
Dann kannst du auch unseren neuen Verkaufspavillon bewundern, der in der letzten Woche fertiggestellt wurde. Endlich hat das Provisorium im Gewächshaus ein Ende und die Bücher und Keramiken befinden sich an einem trockenen Ort. Nur um den Pavillon außen herum zu bepflanzen und zu behübschen finde ich jetzt nicht mehr die Zeit dazu, das muss ich auf den Sommer verschieben. Die Frühjahrssaison steht vor der Tür und deine Aufträge wollen bearbeitet werden.
Diesen Samstag am 2. März bin ich in Arnstadt in Thüringen, dort halte ich einen Vortrag über „Meine Welt der Stauden“. Die Veranstaltung haben die Thüringer Rosenfreunde zusammen mit der dortigen Regionalgruppe der Staudenfreunde organisiert. Das ist dann aber so ziemlich der letzte Vortrag in dem hoffentlich ausklingenden Winter.
Bis zum Staudenmarkt in Berlin vergeht ja noch ein voller Monat. Vorher bin ich aber am 9. März bei meinem langjährigen Freund Ewald Hügin in Freiburg, der ja traditionell sein Frühlingserwachen in der Gärtnerei abhält. Ich freue mich jedes Jahr sehr auf diesen Auftakt, denn dort hin kommen stets eine Menge Freunde und Bekannte aus der Stauden- und Gartenszene, zudem aus der Schweiz und aus Frankreich. Und irgendwo ist der Südwesten Deutschlands ja immer noch ein klein wenig meine Heimat, das kann man nicht ohne Weiteres wegstecken!
Nun bleibt mir nichts mehr übrig, als dir für die kommende Frühjahrssaison alles Gute zu wünschen!
Dein Staudengärtner Sarastro
Christian H. Kreß und Mitarbeiter