Newsletter V/2019 (Unverkäufliche Schattenstauden, Ficaria verna)

Liebe Pamina, hallo Papageno!

Die Zeiten ändern sich. Wie wahr doch! Am Ostersonntag beschloss ich ganz spontan, den Mai-Rundbrief an dich zu schreiben. Wir unternahmen kurz zuvor einen längeren Spaziergang durch das Ilztal, welches sich wildromantisch nördlich von Passau durch die Ausläufer des Bayrischen Waldes schlängelt. An seinen Ufern blühte gerade Pulmonaria mollis, das Behaarte Lungenkraut, welches sonst erst viel weiter östlich in der Natur vorkommt. In unserem Schaugarten steht es seit vielen Jahren und erfreut uns durch seinen stattlichen Wuchs und seinen lilablauen Blüten. Die Blätter haben eine Form, die mich später im Jahr eher an Büffelzungen als an Lungenkraut erinnert, zumal sie einfärbig grün sind. Und am Ufer der Ilz kann man außerdem noch ausgedehnte Bestände des Straußfarnes (Matteuccia struthiopteris) bewundern. Im Garten wächst dieser an optimalen Stellen sehr schnell in die Breite und kann auch schon mal zur kleinen Landplage mutieren und andere Stauden in seiner allernächsten Umgebung regelrecht verdrängen.

Hier siehst du das Behaarte Lungenkraut in unserem Schaugarten!

Lungenkräuter, aber auch Farne mag ich sehr gerne, sind sie aber gleichzeitig meine Sorgenkinder, wenngleich aus den unterschiedlichsten Gründen. Aus England brachte ich früher viele schöne Neuzüchtungen der Lungenkräuter mit und habe diese neben einigen interessanten und seltenen Lungenkraut-Wildarten allesamt aufgepflanzt und kräftig vermehrt. Später dann wollte sie keiner haben und der Tenor der Kunden war stets derselbe, das Zeugs würde ja schließlich im nächsten Wald wachsen und im Übrigen wollen sie bitte was Besonderes haben. In meiner alten Heimat nannte man sie „Unglichi Schwöschtere“, hier in Oberösterreich heißen sie im Volksmund „Hänsel und Gretel“.

Die Jahre vergingen, längst hatten wir einen Online-Shop. Du und besonders deine Gartenfreunde von weiter weg verlangten mit einem Mal nach Lungenkräutern. Leider aber gestaltete sich die Vermehrung nicht so optimal, wie ich es mir erhofft hatte. War die Qualität gerade gut und sie standen schön präsentabel im Top da, wollte partout kein Mensch Lungenkräuter haben. Zur Versandzeit waren sie öfters nicht richtig durchwurzelt und gerade frisch vermehrt und so konnte man sie nicht versenden!

Mit den Farnen lief der Absatz bei uns jahrelang ziemlich schleppend, ähnlich wie jahrelang auch bei den Gräsern. Hier änderten sich ebenfalls die Zeiten und ich sehe durchaus mit großem Optimismus der Zukunft entgegen. Vielleicht ebbt die Schneeglöckcheneuphorie langsam ab und wir sehen eine Farnhype am Horizont aufgehen, ähnlich wie zu Victorianischen Zeiten vor über 100 Jahren in England? Vieles begann schließlich in Großbritannien. Ich interessiere mich übrigens von Kindesbeinen an für Farne, bin ich doch in einer Gegend aufgewachsen, wo eine Menge teils seltener Arten und Naturbastarde in allernächster Umgebung wuchsen. Irgendwo liegt noch ein Farnherbarium herum, welches ich damals anfertigte. Vorläufig aber steckt die Ausweitung unseres Sortimentes noch in den Kinderschuhen, denn wir haben uns nach dem Markt zu richten, auch wenn wir so enthusiastisch Vorlieben hegen.

Meine Gedanken schweifen wieder einmal in vergangene Zeiten ab, obgleich wir ja uns eigentlich dem Jetzt hingeben sollten. Ich denke an Gattungen wie Scopolia (Tollkraut), Boehmeria (Chinesische „Brennnessel“), Isopyron (Muschelblümchen) oder viele andere Wald- und Wildstauden, welche noch vor 20 Jahren kaum einen Kunden interessierten. Wer kaufte früher schon Wiesenschaumkraut (Cardamine pratensis) und seine gefüllt blühenden Formen? Ich lernte sie als Kind unter dem Namen „Bettseicher“ kennen, sie wuchsen zusammen mit den Himmelsschlüsseln auf den heimischen Wiesen im Südschwarzwald. Die Übersetzung dieser Dialektbezeichnung unseres Wiesenschaumkrautes erspare ich mir lieber, viel wichtiger erscheint mir die Tatsache, dass ganz allgemein die Naturformen und Wildarten auf dem Vormarsch sind! Vor über 20 Jahren hielt ich einen Vortrag über Wildstauden an der Hochschule in Wädenswil. Unter Wildstauden verstehe ich züchterisch nicht verbesserte Arten aus aller Welt. Damals wurde ich von einigen Teilnehmern angesprochen, weil sie unter Wildstauden in erster Linie „einheimische Stauden“ verstanden. Dies wäre für unsere Gartenkultur ziemlich einseitig und auch langweilig. Natur ist Natur, die wenigen Biotope und ursprünglichen Landschaften sollten bewahrt werden. Garten ist was völlig anderes, etwas vom Menschen Realisiertes, welches zwar Natur beinhaltet, jedoch die Sammelwut zulässt. Für die Insektenwelt hat dies nur Vorteile! Aber dies ist nun ein vollkommen anderes Thema, auf das ich mich heute nicht einlassen möchte.

Scopolia carniolica var. hladnickiana

Wie gesagt, die Zeiten ändern sich Gottseidank und nun sind obige Pflanzen bei vielen Staudenliebhabern zum großen Glück ein Thema geworden, ob sie nun vom Balkan oder aus dem Himalaya stammen. Und erst die Scharbockskräuter! Als ich diese liebenswerten Frühlingsstauden zu Beginn meiner Selbständigkeit in England direkt bei John Carter, dem National Plant Holder besorgte, ahnte ich nicht, dass deren späterer Verkauf zu Beginn ein mittleres Desaster darstellte. Die Kunden sahen mich verständnislos an, hörten das Wort „Scharbockskraut“, dachten an das verheerende Unkraut in ihrem Garten und winkten dankend ab. Dabei handelt es sich hier um eine wesentlich zahmere Variante, die keinerlei Brutknöllchen bildet, wo im Nu der halbe Garten voll von Scharbockskraut ist. Aber das spielte keine Rolle, es war eben Scharbockskraut! Bis ich durch Zufall auf den Gedanken kam, den deutschen Namen Scharbockskraut kurzerhand zu eliminieren, auf neudeutsch „ihn außen vor“ zu lassen.

Wir fuhren damals zum Berliner Staudenmarkt und ich kam mit einem Mal auf den Gedanken, ein großes Schild anzufertigen, auf dem „Liebenswerte Zwergranunkeln“ stand. Die Ware war so richtig knackig! Entschuldige bitte, dass mir jetzt der Ausdruck „Ware“ über den Mund kommt, soll nicht wieder vorkommen. Ware ist etwas Lebloses, völlig unpassend für Pflanzen. Und nebenbei bemerkt schwillt mir regelrecht der Kamm, wenn man uns Staudengärtner gelegentlich als Händler bezeichnet, auch von ausgewiesenen Fachleuten, was mich besonders ärgert. Ich weiß, es gibt wichtigeres! Jedenfalls verkauften wir mit einem Male Scharbockskräuter! Nebenbei schätzten besonders unsere Liebhaber und Kunden in Skandinavien und Polen, dem Baltikum und Russland diese reizenden Frühlingsblüher. Seit einiger Zeit werden sie auf Botanisch einer eigenen Gattung zugeschlagen und bekamen den Namen Ficaria verna.

Hier siehst du bei dem stetig wachsenden Sortiment immer noch eine der besten Sorten: ‘Collarette‘. Sie ist deshalb so einmalig, da sie ihre tief gefüllten Blüten auch bei schlechtem Wetter offen hält.

Hier sogleich Ficaria verna ‘Aurantiaca‘ , welche schon länger in Kultur ist und die seltene, orange Blütenfarbe ins Sortiment bringt.

Neueren Ursprungs ist Ficaria verna ‘Coppernob‘. Hier sind die Blätter im Austrieb schwarz und marmoriert, die Blüten orange und im Abblühen verfärben sich die äußeren Blütenblätter heller!

Und in meinem Leben hätte ich mir nie erträumt, dass wir einmal Löwenzahn in nennenswerter Anzahl verkaufen werden! Nein, natürlich keinen normalen, einheimischen Löwenzahn, sondern einen ganz besonderen aus dem Pamir-Gebirge. Er blüht rein rosa auf und begeistert seine Betrachter ganz enorm. Taraxacum pseudoroseum stellt eine reine Art dar und wird nicht zum Massenunkraut, was dich zur Verzweiflung bringt. Ich sah ihn in Kirgisien auf Bergwiesen ab 3.000 m Seehöhe. Es existieren übrigens auch weiße und orangefarbene Löwenzahnarten, denen ich ebenfalls hinterher bin, weil sie mir so gefallen.

Apropos Berlin. Unseren heurigen Auftritt im Botanischen Garten Dahlem musste ich dieses Jahr sehr wehmütig canceln. Schon waren alle deine Vorbestellungen hergerichtet, schon fing ich an, die schönsten Verkaufspflanzen herauszupicken, da wurden mir ausgerechnet in dieser allerstressigsten Zeit gleich zwei Mitarbeiterinnen krank. In einer kleinen Firma mit nur 6 Angestellten muss man sich Prioritäten setzen und vor allem ganz schnell die richtigen Entscheidungen treffen. Da man gerade im Frühjahr nicht unbegrenzt Personal zur Verfügung hat, musste ich wohl oder übel zuhause bleiben und mich um die Kunden in der Gärtnerei kümmern. Ich werde also in den kommenden Jahren wahrscheinlich noch weniger Veranstaltungen auswärts absolvieren, du wirst dies sicherlich verstehen. Zumindest so lange, bis meine Tochter aus den USA heimkehrt, unseren „Laden“ übernimmt, dann sehen wir weiter.

Die Zeiten ändern sich übrigens auch, was die Gartentage anbelangt. Wir stellten fest, dass an normalen Gartentagen die Besucherströme zwar immer noch zunehmen, wir als Gärtner uns jedoch zunehmend in der Rolle eines blühenden Behübschungsunternehmen sehen. Man kann auch in Schönheit sterben, denn der Umsatz ließ mancherorts sehr zu wünschen übrig. Manche Gartentage werden daher sicher ein Ablaufdatum haben, denn zu viele sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen, ihre Qualität und auch ihr Ruf leidet zunehmend, schon deswegen, weil Gärtner und Pflanzen unter ferner liefen rangieren. Übrigens: echte Raritätengärtner vermehren sich nicht unendlich, sie sind Unikate und können sich selbst nicht vervielfältigen und sind daher nur an bestimmten, sehr ausgesuchten Veranstaltungen präsent. Ich meine, dir schon mal über dieses Thema geschrieben zu haben.

Als ich mich selbständig machte, waren wir sehr froh über diese rasante Entwicklung der Gartentage, denn sie gaben mir und vielen meiner Gärtnerkollegen eine willkommene Gelegenheit, uns einem größeren Publikum bekannt zu machen. Damals war eine Aufbruchstimmung zu spüren, sich endlich von den Baumärkten und Gartencentern spürbar abzuheben. Ich könnte dir jetzt noch viel mehr zu diesem Thema schreiben, über Ideale und Vorsätze, möchte dir aber die wahren Gründe unserer allmählichen Distanzierung erläutern.

Zieht man eine 3- Tage- Veranstaltung als Beispiel heran, so zählt man mindestens anderthalb Tage Vorbereitung und Rückbau dazu, die Anfahrtszeit und die Rückfahrt überhaupt nicht mit eingerechnet. Da wären dann viereinhalb Tage mehr oder minder fix verplant, wohlgemerkt nur für eine einzige Veranstaltung! Die Kunden hier in der Gärtnerei werden von einem zusehends gestressten Personal bedient, während ich auswärts herumgondele und schlussendlich nahezu denselben Umsatz wie zuhause mache, allerdings mit deutlich höherem, finanziellem und zeitlichem Aufwand. Gerade das letzte Frühjahr hatte mir hierzu die Augen endgültig geöffnet, dazu kam die immense Trockenheit, die uns zusätzlich Nerven und Kosten verursachte.

Was man dann aber so ganz nebenbei in selbiger Zeit zuhause alles erledigen kann, das merkt man erst dann, wenn man den Stapel liegen gebliebener Aufträge sieht, außerdem leiden die so dringend durchzuführenden Vermehrungsarbeiten gerade im Frühling ganz erheblich. Das Auto, dessen Spritkosten, Amortisation und die anfallenden Reparaturen veranlassen einen Staudengärtner, rein rechnerisch mindestens 50 Cent/Kilometer zu veranschlagen, von meiner unproduktiven „Arbeitszeit“ im Auto will ich erst gar nicht reden. Dazu kommen Unterkunft und Essen, ganz zu schweigen von den Standgebühren, die teilweise exorbitant in die Höhe schnellten und je nach Größe des Standes sich heutzutage zwischen 400 und 700 € bewegen. Du merkst sicher, dass man da mit einem zunehmend spitzeren Stift unterwegs sein muss, obgleich das Flair unter den Gleichgesinnten schon etwas Einzigartiges darstellt und ich mich stets gerne daran erinnern werde!

Zwischendurch mal was mediterranes: Ballota pseudodictamnus, wie eine Muschelblume, aber ausdauernd und strauchig wachsend, für sehr trockene Stein- und Kiesgärten!

Dass überdies Autofahren auf den Straßen Mitteleuropas schon längst keinen Spaß mehr macht, brauche ich dir ja gar nicht erst zu erzählen! Ich kenne Kollegen, die ihren Absatzschwerpunkt ausschließlich auf Gartentage und Pflanzenbörsen legen und nur von diesen leben. Sie sind anders strukturiert, leben nahezu ausschließlich vom Verkauf auswärtiger Veranstaltungen und müssen sich nicht noch zuhause mit dem Versand der Stauden und den Verkauf vor Ort beschäftigen. Ich bewundere sie sehr, denn diese Strapaze sollte endlich einmal gesondert honoriert werden!

Ganz anders sieht es dagegen auf reinen Pflanzenbörsen und Staudenmärkten aus. Diese werden auch in ferner Zukunft immer Bestand haben. Ein guter Freund von mir spricht immer von „Viel Feind, viel Ehr‘“, womit ich ihm vollkommen Recht gebe. Denn dort, wo sich Sortimentsgärtnereien aus dem In- und Ausland auf einem Haufen treffen, wo sich ein breites Sortiment vom Kaktus über Anemonensorten und gefüllt blühenden Leberblümchen, von Foerster-Ritterspornen bis zur neuesten Funkie ein Stelldichein geben, wo Phalaenopsis als „Pseudoorchidee“ links liegen gelassen werden und dafür rare Orchideenjuwele angeboten werden, da bist du goldrichtig unterwegs! Nicht wenige Gartentage zeichnen sich leider zunehmend dadurch aus, dass die sogenannte Hardware dominiert und der Veranstaltungsort einen volksfestartigen Charakter annimmt. Gerade die Fraktion der Pflanzensammler hat es satt, sich dem Gewühle und Gedränge zu unterwerfen, sie bestellen deswegen lieber über das Internet oder fahren direkt in die jeweilige Gärtnerei. Das soll jetzt keine allgemeine Abwertung von Events sein, lediglich eine Differenzierung sei mir gestattet!

Wir werden auch dieses Jahr Ende Mai wieder an den Reichersberger Gartentagen mit von der Partie sein, schließlich ist dies für uns ein Heimspiel und wir halten für dich am Samstag die Gärtnerei den ganzen Tag über geöffnet. Das Stift Reichersberg liegt nur 5 km von unserer Gärtnerei entfernt, wir schätzen es deswegen sehr, weil sich dieses Kloster für unser Innviertel äußerst identitätsstiftend präsentiert und nebenbei eine Menge an kulturellen Veranstaltungen bietet.

Und während du diese Zeilen liest, ist unser diesjähriges Verkaufsoffene Wochenende bei Sarastro-Stauden schon wieder Geschichte. Unser neuer Verkaufspavillon bewährte sich übrigens ganz hervorragend!

Vergiss nicht, auf deine verbliebenen Buchsbäume ein Auge zu werfen. Noch haben wir den Zünsler nicht besiegt. Du kannst das Mittel Xen Tari spritzen, es besteht übrigens aus Bacillus thuringiensis, ist also biologischen Ursprungs. Sei wachsam und hab ein Auge darauf, es lohnt sich! Erst wenn alle Buchsbäume der Umgebung durch Nachlässigkeit gestorben sind, haben wir eine Chance, unsere eigenen über die Runden zu bringen. Vom Feuerbrand spricht heute kaum noch wer, was für ein riesen Zirkus wurde da veranstaltet, sicher teilweise nicht unberechtigt!

Von Mai bis in den September kommen deine Freunde auch mal mit einem Bus zu uns angereist. Sie werden von mir oder von Rosemarie empfangen und durch die Gärtnerei und ihre Schaubeete geführt. Falls du einem Gartenbauverein oder einer Regionalgruppe der Staudenfreunde angehörst, dann seid ihr herzlich willkommen! Aber bitte den Besuchstermin rechtzeitig mit uns absprechen, denn es kam durchaus schon vor, dass sich wer mit der Zeit vertan hat und mit einem Male zwei Busse im Abstand von zehn Minuten dastanden!

Das nächste Mal schreibe ich dir wieder über irgendein staudiges Thema. Schließlich ist dies so etwas wie die Quintessenz unseres Gartenlebens.

Dir wünsche ich einen wunderschönen Frühling, nur lass es bitte mal kräftig regnen! Hier ist es wieder viel zu trocken, ein schneidender Ostwind dazu, der alles austrocknen lässt. Erinnert mich lebhaft an letztes Jahr. Doch tatsächlich – hier muss ich ergänzen, es hat bei uns zwei Tage lang sehr befriedigend durchgeregnet – endlich!

Dein Staudengärtner Sarastro

Christian H. Kreß und Mitarbeiter

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