Newsletter XII/2024
Liebe Pamina, hallo Papageno!
Wie geht es dir mit deinem Garten? Alle Kübelpflanzen eingewintert, alles Laub zusammengerecht? Während ich gerade an dich schreibe, hat es hier zart geschneit, aber ich denke, dass dies nur ein vorwitziges Intermezzo war. Wir hatten noch enorm viel erledigen können, da es die ganze Zeit über trocken und mild war. Auch der Versand lässt uns noch nicht in Ruhe, wir versorgen dich noch stets mit Stauden! So ist’s recht, denn die im alten Jahr gepflanzten Stauden sind denen im Frühjahr um einen Sprung voraus, egal, wie spät es im Jahr ist. Und nicht wenige deiner Freunde schätzen es, im Herbst aus dem Vollen schöpfen zu können, viele Raritäten wurden über den Sommer vermehrt und sind nun wieder verfügbar, die über den Sommer restlos ausverkauft waren.
Ende Oktober waren wir in Georgien, dies war endlich an der Zeit, denn ich war noch nie im Kaukasus! Ein absolut lohnendes Reiseziel, kann ich nur empfehlen, und zwar kulturell, landschaftlich, floristisch, kulinarisch, nette Menschen und zurzeit überdies sehr günstig. Der Herbst ist leider suboptimal, was Pflanzen und Blüten anbelangt, aber als Staudengärtner kann nur dann reisen, wenn es die Zeit erlaubt. Aber trotzdem kam ich auf meine Kosten. Und der Ansporn kam in mir auf, in den kommenden Jahren dieses Land am Kaukasus im Frühsommer zu bereisen, um dann intensiver Pflanzen zu studieren und zu fotografieren. Doch auch jetzt sahen wir eine ganz schöne Menge an tollen Schätzen, wenngleich diese derzeit leider nicht in Blüte standen.
Die Hauptstadt Tiflis ist ein lebendiges Museum mit wunderschönen Hausfassaden und Innenhöfen, sehr viel davon liebevoll restauriert, einiges leider ziemlich verfallen, doch alles sehr authentisch! Hauptsächlich ist Tblissi aber eine pulsierende und höchst lebendige Stadt mit einer Menge guter Lokale.
Die Länder des Kaukasus ganz allgemein gelten als wahre Schatzgruben in vielerlei Hinsicht, welche touristisch zumindest derzeit noch ein Geheimtipp sind. Nebenbei trifft man auf ein Völkergemisch mit etlichen Sprachen und dazu noch eigenen Alphabeten. Und so verhält es sich auch mit den Pflanzen. Wenn man bedenkt, dass allein Georgien eine unglaubliche Vielfalt an Landschaften vorweist, von Steppen und wüstenartigen Landschaften über liebliche Hügellandschaften mit Wäldern, Weingärten, feuchtwarmen Regenwäldern am Schwarzen Meer bis hinauf zu den Hochgebirgsregionen des Großen Kaukasus. Dabei ist dieses Land gerade einmal so groß wie Bayern! Egal wo man hinfährt, in den Wäldern dominieren Orientalische Buche, Orientalische Platane und nahezu überall Walnussbäume.
Allenorts findet man orthodoxe Kirchen und Klöster aus den unterschiedlichen Zeitepochen, manche davon sind uralt. Georgien ist recht dünn besiedelt und hat lediglich dreieinhalb Millionen Einwohner. Die Bevölkerung konzentriert sich auf Städte wie Batumi, Kutaissi und Tiflis. Alle drei besitzen sehenswerte Botanische Gärten, wobei derjenige in Batumi mit Abstand am eindrucksvollsten ist. Gehölzliebhaber kommen besonders in Tiflis auf ihre Kosten.
Wir hatten wieder einen Leihwagen, wie vorher so viele Male. Ganz früher bewegten wir uns in vielen Ländern ausschließlich mit einheimischen Bussen von A nach B, allerdings benötigt man auf diese Weise wesentlich mehr Zeit, kommt dafür aber mit den Menschen intensiver in Kontakt. Als Selbstfahrer erreicht man dafür seine Ziele sehr viel schneller. Ich war ja von früheren Reisen her schon einiges gewohnt, was die Machenschaften einheimischer Autofahrer anbelangt. Ich sah diesem Problem relativ gelassen entgegen, denn entweder du gewöhnst dir sofort die landesübliche, sehr offensive Fahrweise an oder du bist gleich „verkauft“, ein Crash ist genau dann unvermeidlich. Grüne Ampeln, keine Sorge, es wird öfters auch bei Rot gefahren, darum stets auf die anderen achten! Parkplätze? Kein Problem, man parkt notfalls in zweiter Reihe, ein Megastau dahinter ist meist die Folge, das juckt niemanden! Einspurige, steile und dabei enge Gassen werden bewältigt, egal wie. Drängeln und Hupen gehört nebenbei zum guten Ton – der Stärkere gewinnt, dabei lässig und freundlich winkend! Mit sturen Regeln und Pragmatismus hiesiger Fahrschulen kommt man jedenfalls in diesen Ländern nicht weiter als bis zur nächsten Kreuzung und ist darüber hinaus mit den Nerven am Ende zerstört. Kurz und gut, es ging wieder einmal ganz passabel, keine Beule und dieses Mal auch kein Reifenplatzer!
Übrigens hat Georgien noch eine Besonderheit zu bieten, auf die man aufmerksam wird, wenn man einmal dort ist. Ich kenne kaum ein Land, wo man so enorm viele Hunde aller Art zu Gesicht bekommt! Sie sind durchwegs gutmütig, wollen sogar unentwegt gestreichelt werden. Sie gehören jemandem oder auch nicht, jedenfalls geht es ihnen gut, sie bekommen von allen Seiten Futter und werden sogar vom Staat mit Impfaktionen versehen.
Der Hohe Kaukasus bildet quasi die Grenze zwischen Europa und Asien, einige Berge sind über 5.000 m hoch. So auch der Kasbegi, ein erloschener Vulkan, der dritthöchste Berg des Kaukasus, welcher genau auf der Grenze zu Russland steht. So malerisch und schön, wie wir ihn an diesem kalten Oktobertag vorfanden, bekommt man ihn nur im Herbst zu Gesicht.
Auf jeden Fall sehr spannend fand ich die Schluchtenvegetation im Kleinen Kaukasus nahe der Grenze zur Türkei, wo etliche Farne, vertraute Schattenpflanzen aller Art und vor allem Cyclamen dominierten. Aber auch auf offenen, trockenen Grassteppen in Zentralgeorgien wurde ich durchaus fündig. Im Hochgebirge war längst Saisonende, da lag teilweise schon der erste Schnee, ich konnte lediglich einige Rosettenpflanzen ausmachen. Ich lass dich in diese Pflanzenwelt mit wenigen Bildern hier eintauchen:
Sehr beeindruckt hat mich eine mit Wasser überrieselte Conglomerat-Felswand, die über und über mit Adiantum capillus-veneris überwachsen war, ein Venushaarfarn, den wir bereits in Oberitalien vorfinden.
Beeindruckend fand ich auch die Massen an Cyclamen coum ssp. caucasicum, welche frisch ausgetrieben mit ihren marmorierten Blättern ganze Wälder in Beschlag nahmen.
Die meisten der kleinen Seitentäler im Kleinen Kaukasus waren begehbar, meist führten Forststraßen oder Wege zu irgendwelchen Klöstern oder Einsiedeleien. An einem im tiefen Schatten gelegenen Bach fand ich sogar Helleborus caucasicus, meist in kleinen Gruppen, dazwischen Pachyphragma macrophylla, das uns bekannte Kaukasus-Schaumkraut und weiter oben an trockeneren Stellen den unverwüstlichen Rauling (Trachystemon orientale), sowie etliche andere Stauden, die wir aus Gartenkultur kennen. Einfach immer wieder aufregend, wenn man bekannte, aber auch weniger bekannte Stauden am Naturstandort entdecken kann!
Weiter nach Osten Georgiens nehmen die Niederschläge ab, was sich natürlich auch auf die Vegetation auswirkt. Hier im nächsten Bild beeindruckten beispielsweise die Perückensträucher (Cotinus coggygria) im schönsten Herbstkleid auf blankem Fels.
Und ein besonders schönes Beispiel einer Gesteinsverwerfung konnten wir ebenfalls in einem Seitental entdecken, ein wunderbarer Spaltengarten in freier Natur, wie man ihn nicht besser nachbauen kann!
Wie denkst du über K I ? Momentan jedenfalls in aller Munde und ich stelle mir gerade vor, ich würde dir diesen Rundbrief via „Künstlicher Intelligenz“ erstellen, quasi auf Knopfdruck, um sich Zeit zu sparen, Eigenfantasie und Humor außen vor zu lassen. Du brauchst ja nur ein paar Schlagwörter eingeben und es erscheint das, was du möchtest, sogar ein Rundbrief. Momentan wohl noch recht trocken, rein nach Fakten aufgebaut, fachlich nicht immer ganz korrekt, aber immerhin. In Zukunft wird dies auf jeden Fall immer besser, sicher nicht schlechter! Um es auf den Punkt zu bringen, ich würde mir das trotzdem niemals trauen, auch nicht in Zukunft, auch dann nicht, wenn diese Möglichkeit einmal wesentlich ausgereifter ist, das wäre unter meiner Würde! Außerdem würde dir dies trotzdem sicher an Kleinigkeiten auffallen.
Um K I kommen wir nicht mehr herum, es kommt nur darauf an, wie wir damit umgehen und was wir daraus machen. Über Computer und Internet wurden vor Jahrzehnten auch Schimpftiraden losgelassen. Die Pflanzen-Apps, die es bereits gibt, werden immer ausgereifter. Werden Botanikbücher deswegen obsolet? Landschaftsgärtner und Pflanzplaner tun sich in Zukunft leichter bei einer sinnvollen Staudenauswahl, doch macht es Sinn, seinen Kunden Pflanzen aufzudrücken, mit denen sie nicht umgehen können?
Vor allem aber bin ich gespannt darauf, wie in Zukunft auf diese Entwicklung unsere Kinder reagieren werden. Sie nutzen es ja schon vielfach, aber ob ihnen dies für ihren späteren Beruf ein gutes Resultat bringt, bleibt dahingestellt. Im Grunde genommen gibt es KI ja schon länger, nicht erst die letzten Jahre, das Navi mit seinen Funktionen ist ja auch nichts anderes. Mir wird jedenfalls bei dem Gedanken schlecht, wenn den Menschen ganz banal die Orientierung fehlt, wenn sie trotz Sonnenstand nicht mehr zwischen Himmelsrichtungen unterscheiden können, keine Eigeninitiative mehr entwickeln. Nicht, dass ich technikfeindlich bin, aber dieses Herabdrücken einer persönlichen Kreativität stört mich ein wenig.
Und nun zum Abschluss wieder fünf bekannte oder vielleicht auch unbekannte Stauden aus unterschiedlichen Lebensbereichen, welche dich vielleicht interessieren werden!
Ich weiß gar nicht mehr, wo genau ich die so eindrucksvoll blau blühende, Japanische Taubnessel kennenlernte, es ist auf jeden Fall schon ziemlich lange her. Nur zwei Arten sind gelegentlich in gärtnerischer Kultur zu finden. Meehania urticifolia ist die unscheinbarere von beiden, mit blassblauen Lippenblüten. Von ihr besitzen wir eine schlecht wachsende, aber sehr hübsch panaschierte Form (‘Wandering Minstrel‘). Dagegen wächst Meehania fargesii ungleich imposanter, sie bildet bogige, nahezu meterlange, rankenartige Triebe und blüht im Mai mit auffälligen, etwa 4 cm langen Lippenblüten. Die Japanische Taubnessel ist nicht nur durch ihre außergewöhnliche Blütenfarbe interessant, sondern vor allem für ihre Eigenschaft als Laubschlucker unter höheren Gehölzen, was sie für die Verwendung im Halbschatten und Schatten sehr wertvoll macht!
Ich darf dir hier endlich eine meiner Lieblingsstauden vorstellen, die ich schon sehr früh kennenlernen durfte. Allein schon ihr deutscher Name klingt sehr verheißungsvoll: Prophetenblume! Damals wollte ich sie unbedingt besitzen, denn ihre Beschreibungen in all den vielen Fachbüchern konnten euphorischer nicht sein. Aber Fehlanzeige! Keine der in den 80er-Jahren bekannten Sortimentsgärtnereien führte diesen Klassiker im Sortiment, die einzige mir bekannte Gärtnerei, die die Prophetenblume kultivierte, lag in Dänemark, damals noch nicht zur EU gehörend. Ein damals in der Szene bekannter Pflanzenliebhaber hatte sie dagegen schon länger im Garten stehen und stach mir bei einem Besuch ein Teilstück davon weg, ich machte einen Luftsprung vor Freude! Sie wuchs die Jahre hindurch allerdings nur mäßig, Samen wurden kaum gebildet, die Ernte glich einer Art Mäusemelkerei!
Eines Tages, ich war schon in Österreich tätig, packte mich mein Ehrgeiz, ich grub meinen inzwischen recht ansehnlichen Horst aus und vermehrte ihn durch vorsichtige, messerscharfe Teilung (Gärtner = Gefühl!). Das Ergebnis stellte sich als außerordentlich unergiebig heraus, aber immerhin bekam ich einen kleinen Grundstock, den ich bald darauf wieder auspflanzte, um so zu größeren Stückzahlen zu kommen (Gärtner = Gier!). Es dauert bei der Prophetenblume viele Jahre, bis man an einen Verkauf denken kann! Im Garten ist sie eigentlich recht unkompliziert und wächst auf nährstoffreichem, durchlässigem Lehmboden. Ich durfte sie später in ihren Herkunftsländern Iran und der Nordosttürkei an verschiedenen Standorten bewundern, dort wächst sie an grasigen Hängen in höheren Lagen, teilweise auch im Halbschatten. Die leuchtend gelben Blüten sind durch ihre dunkelbraunen, fast schwarzen Punkte sehr auffällig, welche im Abblühen dann spurlos verschwinden. Ab dem kommendem Jahr werden wir hoffentlich wieder einen kleinen Bestand Prophetenblumen anbieten können.
Ich hatte ja schon öfters durchklingen lassen, dass ich in meiner früheren Heimat als Jugendlicher den einheimischen Orchideen nachstellte. Ich kann mich daran erinnern, den Sumpfständel (Epipactis palustris) am Rande eines sauren Flachmoores im Südschwarzwald in lockeren Beständen gesehen zu haben, aber auch auf einer trockenen Waldlichtung im Schweizer Jura, dort aber auf Kalkuntergrund. Seit mindestens 20 Jahren befindet sich ein dicker Horst am Rande eines Steingartens in unserer Gärtnerei und erfreut uns mit gutem Zuwachs, welchen wir natürlich auch zur Vermehrung nutzen. Erdorchideen wachsen nicht alle so problemlos wie die Sumpfständelwurz, viele davon sind ausschließlich dem Spezialisten vorbehalten. Wenn du dir die kleinen Blüten an der Rispe aus nächster Nähe betrachtest, erinnern sie dich vielleicht an tropische Orchideen wie Cattleya oder Laelia! Jedenfalls gehört die Sumpfständelwurz zusammen mit einigen Frauenschuhen (Cypripedium), der Tibetorchidee (Pleione limprichtii) und der Bambusorchidee (Bletilla striata) zu den am leichtesten zu kultivierenden Orchideen für den Garten.
Zwischendurch möchte ich dir ein Sedum vorstellen. Etwas gänzlich Banales und doch auch wieder nicht! Sedum ternatum wächst in lichten Wäldern Nordamerikas und blüht mit hellgelben bis weißen Rispen. Das Besondere an dieser wenig benutzten Art ist ihr Winterkleid, die Blätter verfärben sich bräunlichrötlich, was an entsprechenden Stellen wie Beeträndern oder im Gehölzrandbereich als Bodendecker sehr ansprechend aussehen kann. Der dichte Wuchs trägt ebenfalls dazu bei, dass in Zukunft diese Art wohl größere Verbreitung verdient. Nur ein Sedum? Wir vermehren seit längerem die Sorte ‘Chestatee‘, benannt nach einer Stadt im Bundesstaat Georgia in den USA. Sie besitzt ausgeprägtere, sukkulente Blätter und blüht hellgelb.
Zum Abschluss ein ornamentales Ziergras, welches du beinahe überall pflanzen darfst, vor allem dort, wo es dir gefällt! Das bedeutet, dass die Waldschmiele (Deschampsia cespitosa) zu denjenigen Stauden zählt, welche eine sehr breite Standortamplitude besitzen. Das heißt auf Deutsch, dass dieses Gras im Nassen wie im Trockenen, also Teichrand oder Dachgarten, im Schatten und in der vollen Sonne, in mineralischen Böden, aber auch in normalen Gartenböden wächst. Und dies sollten wir uns zunutze machen. Wir haben lediglich 4 Sorten, die Hauptsorte ist nach wie vor ‘Goldtau‘, die sich von der tschechischen ‘Palava‘ kaum unterscheidet. Du solltest von der Waldschmiele möglichst nur eine einzige Sorte in deinem Garten verwenden, da sonst durch Bestäubung überall unerwünschte Sämlinge auftreten. Die Waldschmiele schiebt recht bald ihre Blütenwedel hervor, wobei sie am dekorativsten im eingetrockneten Zustand wirkt, das ist über den Sommer. Es genügen einige Exemplare zu lockeren Gruppen, deren Wirkung nicht ausbleibt!
Für heute genug, die stille Zeit hat bereits begonnen! Nützen wir diese Zeit und genießen sie, du hast sie sicher verdient.
Weihnachten naht und vielleicht kommt dir die Idee, einer deiner Bekannten eines meiner Bücher zu schenken. Mit persönlicher Widmung, versteht sich! Oder etwa einen Pflanzengutschein für das kommende Jahr? Schick uns eine Mail…
Ich wünsche dir alles Gute, in Vorfreude auf Weihnachten und ein neues, hoffentlich blütenreiches Gartenjahr!
Dein Staudengärtner Sarastro