Newsletter VI/2018 (Beth Chatto, trockenes Jahr)

Liebe Pamina, hallo Papageno!

Über das Wetter möchte ich mich am heutigen Tag gar Erinnerst du dich noch daran, als ich dir schon vor Jahren in einem der Rundbriefe von meinen Besuchen bei Beth Chatto in Colchester/England berichtete? Damals ab Ende der 80er –Jahre und auch später nahm ich mir noch die Zeit und reiste beinahe jedes Jahr nach Großbritannien. Jedenfalls besuchte ich damals, zusammen mit den zwei Staudenkollegen Ewald und Thomas unter anderem Beths Gärtnerei, sowie ihren wundervollen Park mit den so beispielhaften Staudenkompositionen. Sie empfing uns jedes Mal persönlich und zeigte uns voll Begeisterung ihr Lebenswerk.

In einem jener Jahre zog eine Jahrhunderttrockenheit über East Anglia, sieben Wochen keinen Tropfen Regen! Ja, du hast richtig gelesen, so etwas gibt es selbst in England! Colchester liegt nordöstlich von London und verzeichnet die niedrigsten Niederschlagswerte im ganzen Land, ist sozusagen die Leeseite der Insel. Der Rasen im Schaugarten von Beth Chatto war trostlos ockerfarben und verdorrt, ich besitze sogar noch einige Dias von damals. Auf meine Frage hin, dass doch Busse voll Besucher hierher kämen und ob dieser braune Rasen nicht schockierend auf Gartenliebhaber wirkte, antwortete Beth allen Ernstes, sie möchte erleben, wie ihr Schaugarten imstande ist, auf solch eine extreme Trockenheit zu reagieren und sich nach einem Regen zu erholen. Jedenfalls unternahm sie nicht den geringsten Versuch, auch nur irgendeinen Bereich zu bewässern! Neben dem braunen Rasen sahen die Gehölzränder und Staudenbeete trotz der Trockenheit immer noch recht ansehnlich aus. Und tatsächlich, ich kam schon ein Jahr später wieder nach Colchester, von Trockenschäden war nichts mehr zu erkennen. Dass Rasen sich schnell regenerieren kann, dürfte dir ja sicher bekannt sein. Trotzdem spricht die Realität bei uns allerdings eine andere Sprache, denn jeder will einen grünen „Lawn“, am liebsten auch in der Sahara, bewässert und gedüngt, nach allen Regeln der Kunst. Allerdings wirken sich sieben Wochen Trockenheit bei uns viel verheerender aus als in Großbritannien, das muss man fairerweise auch dazusagen!

Ein Blick in Beths Schauanlage, mit ihr und meinen beiden Kollegen Ewald und Thomas

Das damalige, sehr trockene Jahr in East Anglia war dann wohl der auslösende Faktor für den inzwischen berühmt gewordenen „Gravel Garden“ in Beth Chattos Paradies. Sie erzählte uns damals, dass der vorhandene Parkplatz eigentlich viel zu klein sei und sie nun einen Parkplatz hinter der großen Hecke plant. Und so entstand aus dem alten Parkplatz jener Kiesgarten, genug Raum, um jede Menge trockenheitsliebende Pflanzen aus aller Welt unterzubringen, um zu demonstrieren, dass Gärtnern auch gänzlich ohne Wasser funktioniert, nämlich durch standortgerechte Verwendung von Gehölzen und Stauden, mit winterharten Pflanzen aus Trockenheitsgebieten der Erde. Hierin war sie eine der Vorreiterinnen in Großbritannien, denn diese Art der Verwendung kannten zwar die Kontinentaleuropäer, hier besonders jener Kreis um Foerster und Hansen, in England war damals standortgerechtes Pflanzen weitestgehend ein Fremdwort.

Ich schreibe dir diese Erinnerungen schon deswegen, da wir uns immer noch in einem extrem trockenem „Frühjahr“ befinden. Es ist nach wie vor kein Landregen aus dem Westen in Sicht! Mag sein, dass es anderswo nicht so krass war wie in unserem Innviertel. Jedenfalls herrschte bei uns Mitte März Kahlfrost bei minus 10 Grad, danach wurden wir quasi von Null auf Hundert in den Sommer katapultiert – Frühling, wo warst du geblieben? Ich muss dir hier gestehen, dass für mich dieses so genannte „Frühjahr“ das schwärzeste und schlimmste meiner gesamten Laufbahn war, und dies gleich aus vielerlei Hinsicht. Die Schneeglöckchenblüte fand bei uns schon im Januar statt, um dann im März im Frost daniederliegend zu erstarren. Den viel zu milden Temperaturen des Spätwinters folgte Mitte März ein gefährlicher Kahlfrost. Wir reagierten mit Abdeckvlies in unseren Topfquartieren, leider aber nicht überall, ich unterschätzte die fatalen Folgen! Dieser Frost, welcher die armen Pflanzen regelrecht überfiel, die eigentlich schon auf Frühling und Wachstum eingestellt waren. Das Ergebnis war, dass uns die Stauden in den Töpfen eingingen, bei Gattungen, von denen wir es nicht im Geringsten erwarteten, teilweise sogar unter der schützenden Abdeckung! Ich will hier wahrlich keine Jammertirade von mir geben, aber der Schaden war enorm, besonders bei Phlox, Geranium, Brunnera, Iris spuria, Duftveilchen und Pfingstrosen.

In meiner gesamten Berufslaufbahn hatten wir doch niemals die Topfbeete von Phlox mit Vlies abgedeckt! Erst nach und nach stellte sich das wahre Ausmaß des Schadens dar. Etwa 70 % der Verkaufspflanzen von den Phloxen waren exitus, da die meisten Sorten viel zu früh austrieben und die zarten Triebe dem strengen Frost gnadenlos zum Opfer fielen. Einige trieben zwar später wieder von unten durch, aber eine Verkaufsqualität konnte man dies nicht mehr nennen. In diesem Zusammenhang darf ich allerdings erwähnen, dass sich besonders einige russische Sorten bestens bewährten, während andere Sorten gänzlich versagten. Ich möchte hier ausdrücklich betonen, dass dies natürlich nichts mit der Winterhärte im ausgepflanzten Zustand in deinem Garten zu tun hat, Topfkulturen sind viel empfindlicher, was Temperaturschwankungen anbelangt, sie reagieren darauf höchst unterschiedlich, es kommt auf den vorangegangenen Herbst an, auf den Ausreifeprozess, auf die Feuchtigkeit in den Töpfen, darauf, ob die Pflanzen frisch vermehrt wurden oder ob sie schon älter sind. Man lernt hier nie aus, Überraschungen sind immer vorprogrammiert, es kann hierin langjährige Profis treffen.

Wahrscheinlich waren wir auch durch die letzten Jahre verwöhnt, in denen kaum nennenswerte Verluste zu verzeichnen waren. Im schlimmen Jahr 2012 hatten einige Kollegen von mir verheerende Verluste zu verzeichnen, damals kamen wir mit einem blauen Auge davon. Bei uns ging heuer sogar der panaschierte Giersch in den Töpfen kaputt! Hingegen überlebten zu unserer aller Überraschung sämtliche Töpfe des Anisysops (Agastache), wo normalerweise immer Verluste zu beklagen waren.

Wie schon erwähnt, Stauden in Töpfen kannst du niemals mit deinen ausgepflanzten, eingewachsenen Pflanzen vergleichen, sie sind viel empfindlicher, was Klimaschwankungen anbelangt! Meine Tochter Katharina ist ja nach wie vor in North Carolina tätig, sie erzählte mir, dass dort mehrmaliges Ab- und Aufdecken während des gesamten Winters obligatorisch geworden ist und praktiziert wird. Mildes Wetter – runter mit dem Vlies, Kahlfrost hält in den USA vom Norden sehr schnell Einzug, dann das Vlies wieder drauf. Viel Arbeit – hier in Österreich waren wir durch eine schützende Schneeschicht stets auf der sicheren Seite. Wäre hier eventuell eine Schneekanone hilfreich?

Dann kamen die sehr frühen Osterfeiertage, der Versand geriet ins Stocken, obendrein fiel mir eine wichtige Mitarbeiterin krankheitsbedingt aus und mein Rücken machte mir zusehends zu schaffen. Kreuzschmerzen waren für mich in der Vergangenheit stets ein Fremdwort, dieses Gärtnerleiden kannte ich nicht. Ab April setzten dann Temperaturen ein, die eher an Badewetter erinnerten, dazu hatten wir kaum nennenswerte Niederschläge, dazu dieser gnadenlose Ostwind, der alles austrocknete. Stress mit Bewässern bahnte sich an, alles blühte auf einmal auf und wuchs uns regelrecht davon. Neben den für uns so wichtigen Versand und den notwendigsten Vermehrungs- und Kulturarbeiten kamen aufgrund des warmen Wetters sehr viele Besucher und Kunden in die Gärtnerei – Gäste, wie unsere Anna zu sagen pflegt, denen Aufmerksamkeit gezollt werden muss! Unser Tagespensum war fast nicht mehr zu schaffen. Wie sehr sehnte ich mich wieder nach einem kalten, sehr „langsamen“ Frühjahr! Die Raritätenbörsen in Wien und in Berlin fanden in diesem Jahr kurz hintereinander statt, ebenfalls ziemlich heftig, aber erfolgreich.

Erst um den 10. Mai setzte der lange ersehnte Regen in Form einiger kleinräumiger, lokal sehr begrenzter Gewitter ein, die Verhältnisse normalisierten sich ein wenig. Es fehlt allerdings ein flächendeckender Landregen vom Atlantik. Wie wird das wohl weitergehen, fragte ich mich desöfteren? Schneeglöckchen im Januar, Rosenblüte schon Ende April, in Spanien und Süditalien hingegen ungewöhnlich kalt… ich möchte gar nicht mehr weiterspekulieren. Jedenfalls sollten wir uns nicht unterkriegen lassen und uns an solchen herrlichen Blütenorgien erfreuen, wie hier die weiße Glycinie an unserem Carport, die noch nie so üppig blühte.

Über eine geeignete Pflanzenauswahl im Garten sollten wir uns deswegen mehr und mehr Gedanken machen und durchaus sensibler reagieren. Es macht einfach keinen Sinn, in Österreichs Osten, in und um Berlin oder etwa im Oberrheingraben den Tibetmohn (Meconopsis) krampfhaft am Leben zu erhalten oder in submediterranem Klima Foerster-Rittersporne über die Runden bringen zu wollen, für solche Klimabereiche gibt es eine Unzahl anderer Stauden, welche wesentlich besser geeigneter sind. Mir ist schon klar, dass du Freunde hast, die sich auch im rauen Böhmerwald für winterharte Kakteen interessieren oder sich in der Toskana nach üppig blühenden Phloxbeeten sehnen. Wir sollten uns nach der Decke strecken, allerdings gebe ich unumwunden zu, dass Ausprobieren stets großen Spaß macht und ein „Ausreizen“ der Lebensbereiche unser gemeinsames Hobby erst spannend werden lässt. Ich werde mir ein Symbol überlegen und jene Stauden im Webshop damit auszeichnen, die besonders trockenheitsresistent und widerstandsfähig sind.

Schon sehr bald war in England die „Grand Dame“ Beth Chatto eine Pionierin in Sachen Staudenverwendung nach Lebensbereichen, zwar immer noch „Very British“, aber durchaus auch experimentell unterwegs und stets offen für Neues. Damals dominierten in England allen Ortes die klassischen, repräsentativen „Mixed Border“. Ich mag diese mit Pflanzen gemalten Kunstwerke trotzdem sehr, auch wenn es Zeitgenossen gibt, die darüber die Nase rümpfen und dies „boring“ und nicht natürlich nennen. Der krasse Gegensatz zu Beth Chattos Art war besonders in Christopher Lloyd zu finden, Great Dixter und Beth Chatto’s Garden, wie sie unterschiedlich gar nicht sein können. Doch sie fanden nach Jahren zusammen und sie schrieben sogar gemeinsam ein Buch „Dear Friend and Gardener“, für mich geradezu ein Klassiker einer unendlich liebevollen Gärtnerkommunikation, voll Harmonie und gegenseitiger Bereicherung auf Augenhöhe.

Ein paar Stauden aus England erinnern mich noch heute an meine Besuche bei Beth Chatto. Sie sind inzwischen fixer Bestand unseres Sortimentes. Beth schenkte mir damals einige Neuheiten zum Ausprobieren, dafür machte ich zuhause ein Paket für sie fertig, in dem Selektionen von uns verpackt waren. Diese Art Tauschgeschäfte über die Grenzen hinweg sind so wertvoll und unendlich bereichernd, ich möchte sie niemals missen, wir praktizieren diese Art und Weise bis zum heutigen Tag, natürlich mit vielen anderen Pflanzenfreunden!

Beth Chatto starb am 13. Mai diesen Jahres im gesegneten Alter von 94 Jahren. In ihrer ganzen Art und Weise wird sie mir stets ein großes Vorbild bleiben. Ihre außergewöhnliche Persönlichkeit, ihre Art Stauden zu verwenden, ihr Sendungsbewusstsein und weltoffene Art, besonders aber ihr grenzenloser Enthusiasmus war für uns alle wohl einzigartig und beispielgebend. International bekannt ist sie vor allem durch ihre Bücher. Und sie bekam im Laufe ihres langen Lebens etliche hohe Auszeichnungen, darunter zehnmal Gold für ihre Leistungen an der Chelsea Flower Show, sowie eine Doktorwürde und weitere, hohe Auszeichnungen, u.a. der Königlichen Gartenbaugesellschaft (R.H.S). Ich habe dir diese Auszeichnungen hier hineinkopiert, schon äußerst beeindruckend!

In a gardening career spanning six decades, Beth Chatto’s many awards included ten successive Gold Medals at RHS Chelsea, the RHS’s highest award, the Victoria Medal of Honour, and the RHS Lawrence Medal both in 1987, the Lifetime Achievement Award in 1998 from the Garden Writers Guild (now the Garden Media Guild), and two honorary doctorates, from Essex University in 1987, and from Anglia Ruskin University in 2009.

In 2002, Beth Chatto was awarded the OBE in the Queen’s Birthday honours, and her most recent honour came in 2014 when she received The John Brookes Lifetime Achievement Award from the Society of Garden Designers.

Unsere nächsten Termine, wo wir uns treffen könnten, wären an den Gartentagen in Kohfidisch im Burgenland, sowie im Stift Seitenstetten in Niederösterreich, übrigens beides herrliche und wunderschöne Orte, näheres findest du auf unserer Website unter „Veranstaltungen“. In Seitenstetten bin ich dieses Jahr gleich am Eingang links ganz in der Ecke zu finden. Übrigens stelle ich dir und allen interessierten Zuhörern am Samstagnachmittag in einer Lesung mein neuestes Buch „Meine Welt der Stauden“ vor.

Von ganzem Herzen wünsche ich dir noch einen schönen, jedoch wettermäßig etwas ausgeglicheneren Frühling!

Dein Staudengärtner Sarastro

Viele Grüße/ Best regards/ С уважением

Christian H. Kreß und Mitarbeiter

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