Newsletter I/2022 (Montbretien, einige Raritäten)

Liebe Pamina, hallo Papageno!


Wir befinden uns noch im alten Jahr, ich sitze an meinem Schreibtisch und schreibe dir den ersten Brief für das neue Jahr. Dies beginnt immer mit dem Durchsuchen und Auswählen einiger passender Bilder von Stauden, welche ich dir gerne vorstellen möchte. Der Rundbrief soll ja auch in Zukunft seine Eigenheit behalten, indem ich mir den persönlichen Anspruch stelle, dir stets etwas Neues zu bieten, verbunden mit fachlichem Tiefgang, aber auch Unterhaltsamem. Es ist in etwa so, wie wenn du zu mir in die Gärtnerei kommst, suchst deine Wunschkandidaten an Stauden aus, entdeckst nebenbei noch einige andere dir unbekannte Schönheiten und am Schluss bekommst du von mir oder meinen Leuten zu hören, was es mit dieser und jener Pflanze so auf sich hat. Und so ganz nebenbei tratschen wir anschließend über Sinnloses oder gemeinsame Glücksmomente.

Mit der Überarbeitung unseres Webshops bin ich so gut wie fertig. Und jetzt kann ich es dir verraten! Eigentlich wollte ich mit Manfred Herian gemeinsam nach Südafrika reisen und dort über 3 Wochen lang botanisieren. Doch dies muss leider aus bekannten Gründen und einigen Unsicherheitsfaktoren flachfallen. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, heißt es so schön. Dieses Land gehört schon seit langem zu meinen Top-Wunschdestinationen, die Flora dort ist wohl einmalig und unvergleichlich. Zu gern möchte ich viele der bekannten Stauden am Naturstandort bewundern, in welcher Kombination sie vorkommen. Ein guter Freund von mir sagte, wenn ich dann mal dort bin, dann käme ich mir ungefähr so vor wie zu Beginn des 1. Lehrjahres, denn man kennt vieles nicht oder nur sehr vage. Auch Alternativdestinationen kamen auf dem Afrikanischen Kontinent nicht infrage, manche Länder wie Kamerun, Sudan, Senegal, Burkina Faso machten komplett dicht oder sind nur mit langen Quarantäneaufenthalten zu bereisen. Und ehrlich gesagt möchte ich nach einer Rückreise deine bestellten Pflanzen zusammentragen und nicht zuhause untätig herumsitzen!

Im kommenden Frühling möchte ich unbedingt jenen Reiherschnabel anbieten, den ich schon seit langer Zeit besitze und den mir dazumal Bleddyn Wynn-Jones, der Besitzer von Crug-Farm-Plants gratis mitgab. Erodium triflorum ist ein Dauerblüher ersten Ranges, bis tief in den Winter hinein. Ich hatte nie den richtigen Standort für ihn, jetzt am neuen Pavillon, direkt im nässegeschützten Kalkschotter gedeiht er vortrefflich und erfreut uns auch mit seiner Nachkommenschaft. In seiner nordafrikanischen Heimat ist Nässe nicht so das Thema, auch sind dort die Winter viel milder, darum war er gerade mal in England ausreichend winterhart. Nun, inzwischen hält er es auch bei uns aus und ich kann mir vorstellen, dass du in deinem Garten im Oberrheingraben, in der Südoststeiermark und im Wiener Becken viel Freude an ihm hast, bis wir eines schönen Winters besser belehrt werden und Väterchen Frost erbarmungslos zuschlägt. Denn das Pendel kann auch mal wieder nach hinten ausschlagen.

Ich werde immer öfters in Staunen versetzt, wenn ich über den Friedhof gehe oder mir einige Vorgärten betrachte! Man bekommt auch hierzulande mit einem Male Pflanzen zu Gesicht, deren Überlebenschancen noch vor 10 Jahren praktisch als gleich Null galten. Neuseeländer wie Muhlenbeckia complexa, viele immergrüne Hebe-Arten und Sorten stehen unversehrt. Irgendwie würde mich das Experimentieren und Auskitzeln der Winterhärte unwahrscheinlich reizen, beispielsweise gäbe es da einige Eucalyptus-Arten und noch vieles mehr zum Ausprobieren. Meine Araucaria vor dem Haus hat bereits fünf Meter überschritten, die Küstensequoja von Günther Diamant war schon 8 m hoch, die er mir als kleines Bäumchen schenkte, beides war früher im Innviertel undenkbar, hatten wir doch kontinentale Winter ähnlich wie in München, wo nachts und morgens minus 20 Grad und tiefer über einige Wochen an der Tagesordnung waren.

Auf unserem Wall hatte ich einen Topf des Ochsenauges (Buphthalmum salicifolium ‘Dora‘) gepflanzt, ich weiß noch nicht mal, wo ich diesen herbekommen hatte. Buphthalmum war für mich jahrelang nicht existent, man sah es auf Bergtouren oder Straßenböschungen, wenn man vom Auto aus während des Fahrens botanisierte, anstatt auf die Straße zu achten. Jedenfalls hatte sich die einzelne Pflanze sehr gut entwickelt und ich war angenehm überrascht, wie lange dieses Ochsenauge imstande war, zu blühen, praktisch den ganzen Sommer hindurch! ‘Dora‘ ist eine kompakte und formschöne Auslese, benannt nach Dora Gerhard, einer bekannten Schweizer Staudengärtnerin, die ich vor langer Zeit über die I.S.U. kennenlernte. Auch diese altbekannte Staude, an der ich so achtlos mein Staudengärtnerdasein vorbei lebte, werden wir kräftig vermehren. Unten im Bild siehst du das Ochsenauge in seiner Pracht, links daneben erkennt man den Orientalischen Gamander (Teucrium orientale), beides auf unserem Trockenwall.

Im Leben ändert man bekanntlich nicht nur desöfteren seinen persönlichen Geschmack, sondern unterwirft sich gewissen Modeströmungen oder findet Gefallen an Dingen, die man früher glattweg ablehnte. Ich konnte beispielsweise Gladiolen nie etwas abgewinnen, man sah sie hauptsächlich als altmodische und steife Blumen üppiger Gemüsevorgärten oder sie waren auf Schnittblumenfeldern „Zum Selberpflücken“ nebst Dahlien zu finden. Auch heute noch täte ich mir äußerst schwer, sie zwischen anderen Beetstauden zu integrieren, ohne das Gesamtbild kaputt zu machen. In Ländern wie Russland sind sie jedoch neben Phlox und Flieder eine dauerpräsente Modepflanze. Aber ich kann sehr wohl den Wildgladiolen etwas abgewinnen, von denen es in ihrer südafrikanischen Heimat etliche gibt, welche auch bei uns winterhart sind. Überrascht hat mich Gladiolus papilio ‘Ruby‘, die mir den Ansporn gab, mich auch nach anderen Wildgladiolen umzusehen und diese zu vermehren. Du kannst sie in unserem Webshop studieren, es sind derer noch nicht allzu viele, aber immerhin! Ein sonniger Standort in durchlässigem Gartenboden trägt dazu bei, dass sie in ihrem Wachstum üppig zulegen und reich blühen werden.

Hier Gladiolus papilio ‘Ruby‘ mit der so aparten, purpurlila Blütenfarbe

Ebenfalls konnte ich früher den Montbretien (Crocosmia) nie etwas abgewinnen, bis ich einsah, dass diese dafür sorgen, eine Rabatte regelrecht „unter Feuer und Flamme“ zu setzen. Solche Brüllfarben haben durchaus ihre Berechtigung, wenn man es nicht übertreibt, sondern diese akzentuiert eingesetzt werden. Besonders die Crocosmia ‘Lucifer‘ hatte es mir schon jahrelang angetan, war sie doch die mit Abstand härteste und jene Sorte, welche im Garten nie versagte. Also besorgte ich mir weitere 15 Sorten, wir topften diese ein und warteten auf ihre Blüte, die dann überwältigend war, eine schöner als die andere, von ockergelb bis knallorange, von niederen bis zu hohen Montbretien. Alle wurden sie von deinen PflanzenfreundInnen gerne gekauft, ich war natürlich angenehm überrascht. Allerdings solltest du sie tief genug pflanzen, gib ihr wie den Gladiolen einen durchlässigen, aber guten Boden in voller Sonne. Es sind Sorten dabei, welche in rauen Lagen wahrscheinlich nicht überall ausreichend winterhart sind. Hier solltest du selbst ausprobieren und einen Teil der zahlreichen Knollen als eine Art „Sicherungskopie“ ähnlich der Dahlien kühl überwintern.

Unten im Bild Crocosmia ‘Buttercups‘, darunter Crocosmia ‘Lucifer‘ als kräftiger Horst im „Garten der Geheimnisse“, nicht sehr weit weg von uns!

Eine äußerst spannende Familie sind die Gesneriengewächse, die meisten kommen in den Tropen und Subtropen vor, die bekanntesten sind die Usambaraveilchen oder die Drehfrucht (Streptocarpus). Einige Gattungen schafften es, in Europa als Tertiärrelikt die Jahrtausende zu überdauern. Ich durfte einige von ihnen auf meinen Reisen am Naturstandort bewundern, sei es der Felsenteller (Ramonda myconii) in den Pyrenäen, der Rhodopenrächer (Haberlea) in Bulgarien und ganz besonders Jankaea heldreichii, welche ich das erste Mal 1980 am Thessalischen Olymp in Nordgriechenland an unzugänglichen Felsen entdecken und bewundern durfte. Dieses Juwel ist im Garten nur sehr schwierig über die Runden zu bringen, hier ist ein Alpinhaus vonnöten. Dafür kannst du es viel eher mit dem Felsenteller probieren, deren haarige Rosetten an schattigen Stellen deiner Mauer oder deines Steingartens ohne Probleme gedeihen und jedes Jahr schöner werden. Die Farbe der Blüten ist normalerweise bläulich, es kommen aber auch rosa und weiße Typen vor. Am richtigen Standort kann der Felsenteller sehr alt werden und sogar seinen Besitzer überleben. Die Vermehrung gestaltet sich nicht immer sehr leicht, denn der Samen ist staubfein und die Gefahr der Vermoosung besteht leider immer wieder.

Bei uns im Steingarten ein wunderschönes, rosa blühendes Exemplar des Felsentellers (Ramonda myconii)

Etliche halbharte Gesneriengewächse stammen aus China und sind nur eingeschränkt für den Garten zu empfehlen, eher für Alpinenhäuser oder als Topfkultur für Sammler. Die Gattung Hemiboea wächst in China in Bergwäldern der südwestlichen Provinzen, die Blüten erinnern entfernt an Fingerhüte, auf Deutsch nennen wir sie „Falsche Gloxinie“. Ich führte in letzter Zeit mit einigen Freunden immer Streitgespräche, weil behauptet wurde, die seien vollkommen winterhart, wobei sich diese Aussage lediglich auf die Innenstädte von Freiburg und Berlin bezog. Stadtklima wird man niemals mit einem ländlichen Garten vergleichen können! Erst wenn eine Staude in durchschnittlichen Regionen in Mitteleuropa über die Runden kommt, kann sie als winterhart gelten. Jedenfalls vermehren wir zwei Arten dieser hübschen Gesneriaceae, die sich durch ihre Höhe und Blütengröße voneinander unterscheiden. Der erste schärfere Frost vernichtet zwar die Blätter, aber die zahlreichen Triebe sorgen für Überleben. In rauen Lagen sollte daher eine dickere Laubschicht die Rhizome schützen. Der beste Pflanzplatz befindet sich zwischen Farnen, Funkien und zarten Lerchenspornen. Hier solltest du ebenfalls ein wenig experimentieren, ich denke, dass diese hübschen Stauden auch zwischen abgestorbenen Baumstämmen und neben größeren Steinen recht ansehnlich werden.

Hemiboea subcapitata blüht in der zweiten Jahreshälfte über einen längeren Zeitraum.

Und zu guter Letzt möchte ich dir eine Staude vorstellen, welche höchst außergewöhnlich ist! Wenn du dir das Bild ansiehst, könnte man meinen, es handele sich hierbei um eine Türkenbundlilie, dabei ist Michauxia tchihatcheffii ein Glockenblumengewächs aus der Nordosttürkei, dem Kaukasus und Teilen des Irans, wo sie an Kalkfelsen und in Schotterfluren zu finden ist. Sie ist hapaxanth, was bedeutet, dass die Pflanze zunächst zu einer größeren Rosette heranwächst, wofür sie einige Jahre benötigt. Dann blüht sie ein einziges Mal und stirbt ab, vermehrt sich ausschließlich über Samen, ähnlich wie bei Bukiniczia oder Saxifraga longifolia. Die Keimung funktioniert bei Michauxia ganz gut, jedoch ist bei ihr die weitere Aufzucht alles andere als einfach. Pikiert man die leicht gekeimten Sämlinge, fallen diese gleich um wie die Hasen! Als Staudengärtner muss man vielmehr öfters einen bestimmten Trick 17 anwenden, dann funktioniert es…

Jedenfalls sind die Blüten traumhaft schön und noch toller ist es, dass sie lange halten. Es existieren unterschiedliche Herkünfte mit verschieden großen Blüten, welche zum Teil bis zu 15 cm im Durchmesser aufweisen. Michauxia wäre im Prinzip eine exklusive Schnittblume, ja, wenn sie nicht so zickig in ihrer Aufzucht wäre. Ein günstiger Pflanzplatz im Garten ist eine Hauswand an der Südostseite deines Hauses.

So, das war im Prinzip der Start ins neue Jahr. Ich darf dir alles Gute wünschen, bleib vor allem gesund und wir sehen uns sicher irgendwo wieder!

Dein Staudengärtner Sarastro
Christian H. Kreß und Mitarbeiterinnen

Bild stammt von Dr. Ullrich Fischer, aufgenommen im Senkgarten von Karl Foerster, Juni 2021.

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