Newsletter I/2023

Liebe Pamina, hallo Papageno!

Den ersten Winter haben wir hinter uns gebracht, in Form von zwei Wochen Kälte und einer dicken, schützenden Schneeschicht. Das hatten wir seit über 15 Jahren nicht mehr! Dafür hat jetzt pünktlich vor Heilig Abend das alljährliche Tauwetter eingesetzt. Da ich mit meiner Aktualisierung unseres Onlineshops gut in der Zeit liege und diesen mehr oder minder abgeschlossen habe, begann ich mit dem ersten Rundbrief an dich im neuen Jahr.

Bist du eigentlich mit deinem Garten fertig geworden? Nein? Ist auch überhaupt nicht notwendig. Denn die Rückschnittsmaßnahmen kann man sich auf einen schönen, trockenen Tag im Februar oder März sparen. Bei uns ist sogar einiges an Arbeit liegengeblieben! Die Kaltkeimer warten auf die Aussaat, welche nach Möglichkeit noch im alten Jahr erfolgen soll. Wir Staudengärtner unterscheiden im Übrigen Kaltkeimer, Normalkeimer und Frostkeimer. Zu den letzteren zählen ausschließlich die meisten Vertreter der Hahnenfußgewächse, diese benötigen tatsächlich eine Zeitlang frostige Temperaturen unter Null Grad, um die keimhemmenden Stoffe im Samen abzubauen. Für Kaltkeimer genügt eine vorangegangene Periode zwischen 5 und 10 Grad, um im Frühjahr gleichmäßig zu keimen. Aussäen kannst du theoretisch von Oktober bis März, vorausgesetzt, es passt das entsprechende Umfeld, wie beispielsweise ein Gewächshaus oder Frühbeetkasten.

Allerdings ist diese Materie derart komplex, dass generell ein Buch darüber fällig wäre. Ich kenne ganze zwei deutschsprachige Bücher, die sich mit der Materie der Staudenvermehrung intensiv auseinandersetzen, und diese sind beide vergriffen und nur noch antiquarisch erhältlich. Das ist schlichtweg ein Skandal! Mir kommt heutzutage fast schon vor, spezielle Vermehrungskniffe bei Stauden werden nur von Mund zu Mund weitergetragen, ähnlich wie früher bei uns die Märchen der Gebrüder Grimm oder das Wissen eines Eingeborenenstammes über Heilpflanzen. Ich kenne aber auch im deutschsprachigen Raum einige Fachleute mit enormem Erfahrungsschatz, die ihr Wissen nicht weitergeben und so mehr oder weniger mit ins Grab tragen, ein Skandal ist das!

In Staudengärtnereien werden während der Saison meistens einiges an Sämereien selbst geerntet. So sollten schon das ganze Jahr über reife Samenstände und -kapseln abgeschnitten und gesammelt werden. Nebenbei muss ich immer wieder betonen, dass durch Samen vermehrte Stauden ja nur einen Bruchteil der Staudenvermehrung ausmachen, bei uns sind dies lediglich 10 %. Der überwiegende Anteil des Sortimentes wird über Stecklinge oder durch Teilung vermehrt. Dazu kommen dann noch spezielle Methoden der vegetativen Vermehrung wie Blattstecklinge oder Wurzelschnittlinge, auch Gewebekultur (invitro) stellt ja im Grunde genommen eine vegetative Vermehrung dar. Grundsätzlich macht die Vermehrung des Sortimentes unglaublichen Spaß, denn dies bedeutet wirklich noch Gärtner mit allen Raffinessen zu sein, ohne dass ich diesen Beruf jetzt romantisieren möchte. Aber wo verfolgen noch Mitarbeiter die Vermehrung der Kulturen von der Pike auf bis zum Verkauf?

Heute bestimmt in der Regel ein Schmalspursortiment die Gartencenter und Baumärkte, der Impulsverkauf nimmt immer mehr zu, „Eintagsfliegen“ kommen und gehen, der Handel dominiert das Geschäft. Die Urproduktion eines breiten Sortimentes ist eine große Ausnahme, die meisten Produktionsgärtner existieren nur noch als Manager in Großbetrieben, sie sind entweder für die Abwicklung des Versandes oder für die vorgegebene Massenvermehrung zuständig. Man kann das Rad der Zeit zwar nicht mehr zurückdrehen, jedoch darf ich mir erlauben, meinen schwierigen, aber glücklicheren Weg zu wählen und dir häppchenweise vorzustellen!

Ich kann mich noch an frühere Zeiten erinnern, wo dann im Advent die Menge an selbst gesammelten Samen gereinigt und die „Spreu vom Weizen“ getrennt wurde. Zunächst bewahrte man diesen in einem mäusesicheren Raum auf. Für Mäuse stellen manche Samen einen ausgesprochenen Leckerbissen dar, ich denke hierbei besonders an Samen von Federgras oder auch Freiland-Alpenveilchen und noch so einiges mehr. Du musst den mühsam gesammelten Samen nur für eine Nacht aus Versehen irgendwo liegenlassen und schwuppdiwupp haben die Nager ein Festessen ohnegleichen hinter sich! Und sie wissen ganz genau, was an Samen essbar oder giftig ist!

Das Samenputzen ist meist eine mühsame und staubige Angelegenheit, spezielle Saatgutfirmen besitzen hierfür Zentrifugen und Schüttelsiebe. Für den Hausgebrauch tun es allerdings einige Küchensiebe auch! Du wirst sicher auch schon festgestellt haben, dass die Größenverhältnisse der Samen unglaublich variieren. Äußerst feinen Samen produzieren beispielsweise die Eisbegonien (Begonia semperflorens), aber auch Farnsporen sind vergleichbar mit Mehl oder Staub. Die Samen der Bärenklau (Acanthus) oder Artischocken sind dagegen riesengroß. Hatte man dann den Samen gereinigt, wurde dieser in Papiertüten umgefüllt und nach dem Aussaattermin sortiert. Etliche Staudensamen brauchen erst viel später ausgesät zu werden, sie verlieren ihre Keimkraft erst nach Jahren. Für andere Samen hingegen ist jeder Tag kostbar, beispielsweise die Frühlingsplatterbse, die Bitterwurz oder all die Lenzrosen, unabhängig davon, ob sie Kalt- oder Frostkeimer sind. Dies war jetzt nur ein winzig kleiner Exkurs, die Aussaat von Stauden ist eine eigene Wissenschaft, welche höchst spannend und vielfältig ist. Die Aussaat von Stauden ist vor allem fantastisch geeignet, sie unseren Kindern nahe zu bringen, wie ich finde. Denn es gibt so viele Schnellkeimer, nicht immer nur die Kresse! Stauden sind ausdauernder, nachhaltiger und landen zudem nicht auf dem Esstisch, sondern im Garten!

Oftmals ernten wir von bestimmten Stauden nur eine geringe Menge Samen oder aber wir bekommen die Samen als Probepäckchen von Kollegen oder über den internationalen Samentausch einiger Liebhabergesellschaften. Das Aussäen von Hand ist eine reine Gefühlssache, gröberer Samen geht hierbei leichter von der Hand. Danach müssen die meisten Samen mit feinem Sand übersiebt werden, Faustregel so dick wie der Samen selbst ist. Daher wird staubfeine Saat einfach ausgesät und nicht übersiebt. Angießen nicht vergessen! Auch dies ist mehr als eine Gefühlssache.

Hier siehst du die Töpfe und Aussaatschalen unmittelbar nach der Aussaat. Die Spannung steigt, was wird wohl als erstes zum Leben erwachen?

Sind die Aussaaten erfolgreich gekeimt, dann sollte möglichst bald pikiert werden. Pikieren ist ein Fachbegriff, man meint damit „Vereinzeln“, also die dicht an dicht wachsenden Keimlinge auseinanderzuziehen und zu verpflanzen. Würde man das nicht tun, dann würde unweigerlich Botrytis, ein Schimmelpilz den gesamten Sämlingsbestand vernichten. Zu Foersters Zeiten sprach man noch von „Verstopfen“. Heutzutage werden in Großbetrieben mit Einzelkorn-Aussaatgeräten direkt in sogenannte Quickpot gesät, so spart man sich das Pikieren. In unserem Betrieb aber wird immer noch pikiert, die Qualität wird dadurch viel besser und jedes der jungen Pflänzchen hat eine Chance, erwachsen zu werden. Wir produzieren ja nie diese riesigen Mengen, da muss man von Hand pikieren. Außerdem können die meisten Stauden, die wir führen, kaum als Jungpflanzen zugekauft werden. Einige Gärtner stöhnen, wenn sie nur das Wort Pikieren hören, mir hat diese Arbeit immer großen Spaß gemacht und in meiner Lehrzeit war ich stets der Schnellste bei dieser Tätigkeit.

Manche Sämlinge werden trotzdem nicht pikiert, sondern wandern gleich in den Endtopf, wo sie flott weiterwachsen. Zu solchen zählen beispielsweise Wildformen der Pfingstrosen, Iris-Arten oder Kuhschellen (Pulsatilla grandis), die du hier in der Aussaatschale siehst:

Hier siehst du frisch pikierte Staudensämlinge in Quickpot-Platten, wo diese gleichmäßig weiterwachsen und sich einen durchwurzelten Ballen zulegen. Diese können in vier bis sechs Wochen in den Endtopf getopft werden.

Das Topfen von Staudenjungpflanzen ist einerseits eine reine Routineangelegenheit und trotzdem verantwortungsvoll.

Frisch getopfte, empfindliche Stauden werden im Gewächshaus eine Zeitlang weiterkultiviert:

Oder gelangen je nach Jahreszeit auch gleich ins Freie auf die Stellflächen der jeweiligen Quartiere:

Dies war wieder einmal ein kleiner Exkurs in unseren Alltag. Wir plaudern keinerlei Geheimnisse aus, denn du darfst ruhig erfahren, wie wir unser Sortiment produzieren. Ich mag diesen Ausdruck „produzieren“ ja überhaupt nicht, klingt irgendwie nach industrieller Herstellung. Du weißt ja sicher auch, dass es mir die Haare aufstellt, wenn man uns Staudengärtner als „Händler“ bezeichnet. Wir sind Gärtner mit Leidenschaft, denn solch ein breites Sammelsurium an Stauden zu vermehren, dieses beieinander zu halten, dem Endkunden begreiflich zu machen, wie, wo und mit welchen Stauden er sie pflanzt und verbindet, ist eine Megaaufgabe und erfordert nicht nur breites Wissen und Marktkenntnisse, sondern großen Idealismus und Schaffenskraft. Tiefschläge sind zwar nicht an der Tagesordnung, aber man muss auch lernen, mit diesen umzugehen, wenn sie dann mal auftreten. Ich behaupte immer, wer diesen Beruf nicht liebt, sollte auf der Stelle einen anderen ergreifen, es gibt hunderte Berufe wo sich das Geld um einiges leichter verdienen lässt. Kreativität und Individualismus ist hier gefragt, dies äußert sich nicht allein durch einen bepflanzten Herd oder ein verrostetes Fahrrad mit einem Kaktus im Gepäck! Kreativ sein heißt für mich, nicht jedem Modetrend hinterher zu rennen und dasselbe tun, mit dem der nächste Staudengärtnerkollege Erfolg hat, sondern seinen eigenen Weg finden und sich nach Möglichkeit in eine ganz andere Richtung bewegen. Und dies macht mir unglaublichen Spaß, denn unser Feld ist riesengroß!

Unser Onlineshop ist nun wieder auf dem neuesten Stand und du kannst selbstverständlich jederzeit bestellen. Lass dir ruhig Zeit mit dem Aussuchen, wir fangen mit dem Versand je nach Wetter erst Anfang bis Mitte März an. Oder vielleicht entschließt du dich doch hierher zu fahren? Es lohnt sich beides! Hier in der Gärtnerei stehen jedenfalls noch wesentlich mehr an Raritäten, die noch gar nicht im Shop angeführt sind und wir momentan nur Einzelstücke abgeben. Ich wünsche dir auf jeden Fall alles Gute im Neuen Jahr, viel Kreativität und Freude in deinem Garten! Du hörst von mir erst Anfang Februar, denn „Ich bin dann mal kurz weg“, lautet ein bekannter Satz, er verleiht mir jedes Mal Flügel! Da es sich zeitlich wahrscheinlich nicht ausgeht, bekommst du den Februar-Rundbrief ein paar Tage später…

Dein Staudengärtner Sarastro

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