Newsletter VI/2017 (Echte Kiesgärten versus Pseudokiesgärten)
Liebe Pamina, hallo Papageno!
In der Gärtnerei befinden wir uns momentan in der intensivsten und arbeitsreichsten Phase des gesamten Gartenjahres. Die Vermehrung läuft auf Hochtouren, die Tage sind ausgefüllt mit Herrichten deiner Bestellungen, wir erfreuen uns am regen Publikumsverkehr in der Gärtnerei. Vieles blüht und auch das Unkraut wächst leider schon ganz passabel, so dass wir uns sputen müssen, mit dem Jäten hinterherzukommen! Anna und Andrea werden schon ganz ungeduldig, denn jeder sonnige Tag ist kostbar. Zum Glück hatte es hierzulande wenig geregnet, so dass wir mit der Arbeit gut zurechtkommen.
Unsere wichtigsten Veranstaltungen haben wir bereits hinter uns, es hat mich wirklich sehr gefreut, dich und viele andere Garten- und Pflanzenbegeisterte getroffen zu haben und ein wenig mit dir plaudern zu können, soweit dies im allgemeinen Andrang überhaupt möglich war. Aber die landauf landab allseits beliebter werdenden Offenen Gartenpforten leiten zum Glück nahtlos über in ruhigere Stunden, wo nach Herzenslust über Stauden geschwelgt werden kann und wo auch einmal über Gartenärger oder unterschiedliche Geschmäcker leidenschaftlich diskutiert werden darf.
Womit wir schon bei einer Sache angelangt sind, die mich zunehmend mehr in Rage versetzt und wo ich als passionierter Gärtner nimmer müde werde, dagegen Stimmung zu verbreiten! Es handelt sich um diese Pseudo-Kiesgärten, du weißt sicher, was ich damit meine. Trotz aller Beschwichtigungsversuche aus meinem engsten Umfeld rege ich mich darüber mit wachsender Begeisterung auf. Hat man diese Entwicklung wirklich zu tolerieren?
Ein Pflanzenfreund und Kunde aus dem Rheinland, ein langjähriger Mitleser dieses Rundbriefes, gab mir den Anstoß, doch endlich einmal über diese grauenhaften Auswüchse zu schreiben, diese Untugend einer Pseudogartenkultur, die in den letzten Jahren geradezu pestilenzartig um sich greift. Inzwischen bleibt kein Neubaugebiet mehr davon verschont und sogar alte, eingewachsene Gärten erfahren da und dort solcherlei Behübschungsaktionen, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Leider waren eine Menge an Gartengestaltern nicht ganz unschuldig an dieser Misere, mit dem Argument voran „Die Kundschaft will das so, ein Garten darf keine Arbeit mehr machen!“ Weg vom Garten der Vielfalt, diesem Jahrhunderte alten Ort des Reichtums für Muße und Seele? Wie werden dann wohl die Gärten der Zukunft aussehen? Stehen kreative, grüne Gärten bald für Orte der Erinnerung, als „Mahnmale“ an vergangene Zeiten?
Warum ich mich denn darüber so aufrege, sagen meine Mitarbeiter und einige Freunde. Vor allem wegen der jämmerlichen Pflanzenarmut, was in keiner Weise irgendetwas mit künstlerischem Minimalismus zu tun hat. Eine monotone Kiesschicht, darunter ein Vlies, dann ein paar von den hierzulande so genannten „Kugelbux“ und einen Säulenwacholder, womöglich noch einen dieser streng geschnittenen „Freilandbonsai“ inmitten der Steinwüste, wenn es hoch kommt, noch ein einsames Lampenputzergras und ein Lavendel aus dem 5-Liter-Topf – und fertig ist der Kiesgarten! Ich will hier ja nicht über Geschmack diskutieren, es soll schließlich auch Pflanzenenthusiasten geben, wo sich in ihrem Garten Chaos und Passion die Hand reichen. Und ich hoffe doch sehr, dass du dich nicht auf den Schlips getreten fühlst, wenn du diese Zeilen liest!
Hat aber ein solcher Kiesgarten noch irgendetwas mit dem berühmten Gravel Garden von Beth Chatto zu tun, wenn hier schon von Kiesgarten gesprochen wird? Die Antwort: muss er ja gar nicht! Es gibt hier diesbezüglich durchaus auch weitere, sehr gelungene Ansätze. Aber weil mit diesen Pseudokiesgärten ganz allgemein in einem Atemzug Pflegeleichtigkeit angepriesen und suggeriert wird, dieses Zauberwort, das mit den Jahren geradezu in Kundenbetrug mündet, weil deine Nachbarn, Bekannten und Freunde allen Ernstes glauben, dass Kies und Vlies das Unkraut auf Dauer abhalten würden. Dabei darf ich dir hier endlich einmal aufzeigen, dass Unkraut auch direkt auf Kiesschüttungen munter gedeiht, denn wer dies immer noch abstreitet, der hat die natürlichen Vorgänge einer Sukzession in der Natur noch immer nicht begriffen. Das Schlimme daran ist, dass etliche Gartenzeitschriften diesen Blödsinn auch noch voneinander abschreiben, wie ich etliche Male lesen konnte.
Schon vor vielen Jahren sah ich unterwegs an etlichen Orten Beispiele, wo sich einjähriges Unkraut zwischen dem Kies breit machte. Leider hatte ich damals zur rechten Zeit nie eine Kamera mit. Und bei weitem nicht nur einjährige Pflanzen! Auch Löwenzahn, Giersch und Co. lassen mit den Jahren grüßen, wenn Herbstlaub zwischen Kies zu Humus wird. Ist denn wirklich der Mähroboter, der Kärcher oder gar Glyphosat im Garten die perfekte Lösung aller Dinge?
Der Anlass, dir über dieses Thema zu schreiben, war dieses Beispiel im Nachbarort, wo schon mehr als einmal das Unkraut aus der Kiesfläche entfernt wurde. Zuletzt wurde das Vlies darunter weggezogen, vermutlich weil nachgeschaut wurde, warum denn Unkraut heraussprießt, wo doch eigentlich das Vlies Unkraut verhindern sollte!
Gleich 100 Meter weiter kannst du einen Fahrbahnteiler ohne Vlies oder Unkrautfolie erleben, der durch seine monatelange, pflanzenreiche Abwechslung jedermann erfreut und keinen Deut mehr an Arbeit macht!
Am meisten regt mich aber die Tatsache auf, dass gerade jungen Hausbesitzern durch solcherart Pseudo- Kiesgärten der Sinn und die Lust an jeglichem Gärtnern auf diese Weise geradezu mit Gewalt abgewöhnt wird. Zielstrebig verkaufen wir eine Art Garten, der seinen Namen nicht mehr verdient, welcher durch extreme Pflanzenarmut geprägt ist und welcher in keiner Weise mehr mit sinnvoller Beschäftigung rund um Pflanzen und Garten zu tun hat. Die Beschäftigung mit der Natur im eigenen Garten entfällt auf diese Weise in Zukunft gänzlich. Man kann ja verstehen, beide Häuslbesitzer sind berufstätig, jeder hat am Abend oder Wochenende die Nase gestrichen voll, und dann noch Rasen mähen, Heckenschneiden, Unkraut hacken müssen, und, und, und… nicht nur das!
Der Garten hat dann aber leider als Therapieort schlichtweg ausgedient. In Zeiten des allgemeinen Berufsstresses und dem Vormarsch von allerlei Volkskrankheiten sehe ich den Garten und die Beschäftigung mit Pflanzen von meiner Warte aus als einen äußerst wichtigen und zentralen Ort für körperlichen Ausgleich an, ein Refugium für geistige, körperliche und seelische Genesung, eine Art „Auf-den-Boden-kommen“, sofern du deine Gartenarbeit nicht zur Belastung werden lässt. Garten ist nicht vergleichbar mit unberührter Natur, aber für unsere Kinder kann Garten so etwas wie der Schlüssel zur Natur sein, eine Erlebniswelt, wo man auf Schritt und Tritt Wachsen und Vergehen erleben darf. Einige Beispiele aus meinem unmittelbaren Freundeskreis zeugen davon, dass Garten und Pflanzen sehr viel Anteil an Genesung und Wohlbefinden beigetragen haben, er kann ein Ruhepol und Meditationsort auch in schlimmsten Zeiten sein!
Sicher, für manche von uns kann auch solch eine Steinwüste durchaus eine beruhigende Wirkung haben, vielleicht mit einem Buddha? In eine lebensfeindlichen Umgebung meditieren? Dann aber bitte im Zuge eines Meditationskurses direkt in Tibet oder mitten in der Sahara, das hat wirklich was! Ewig unvergesslich wird mir ein Aufenthalt auf dem Assekrem in der Zentralsahara sein, an einem der unzugänglichsten Orte der Welt, wo du sehr schnell zu dir selbst findest. Hier zuhause aber, in deinem eigenen Reich dient dein Hortus mit seinem Grün als dein tagtäglicher, privater Kur- und Meditationsort.
Und bei solcherart Kiesgärten folgt keine Ruhe, sondern die Enttäuschung, denn was die „Reparierung“ solcher nach Jahren durch Nichtstun verunkrauteter Kiesflächen bedeutet, weiß nur derjenige, welcher es letztendlich bezahlen muss. Wenn ich diese Art Kiesgärten zu Gesicht bekomme, würde ich am liebsten „Guerillagardening“ veranstalten, nach der Tagesschau oder der „Zeit im Bild“! Im Halbdunkeln einige Handvoll geeigneter Blumensamen in diese Kiesgärten verstreuen, um den Leuten zu zeigen, dass in ihrem trostlosen Kiesumfeld sogar Blumen gedeihen können! „Viel Spaß beim Garteln“ könnte man da nur noch sagen, oder? Es existiert eine ganze Reihe an einjährigen Blumen, welche als Pionierpflanzen in einer Kiesschüttung keimen. Der Kalifornische Mohn, der Klatschmohn, die Bergminze etc. etc. Wenigstens ein paar Blüten…!
Und was wäre dann eine Alternative zu diesen artenarmen, sterilen Kiesschüttungen? Eine langweilige Rasenfläche oder doch lieber ein echter Kiesgarten, welcher ein Refugium trockenheitsliebender Stauden und Sträucher darstellt? Auch dieser sollte ein Mindestmaß an Hinwendung erfahren, mit Nichtstun verunkrautet auch diese Fläche. Du kannst gerade deine südostseitige Hauswand mit einer Mischung aus Küchenkräutern, winterharten Kakteen und anderen Sukkulenten wunderbar abwechslungsreich gestalten. Mehr kann ich dir hierzu nicht sagen, man muss es nur tun.
Der nächste Rundbrief fällt etwas kürzer aus, da mich endlich wieder mal das Reisefieber gepackt hat. Mitte Juni fliege ich mit einigen Pflanzenfreunden in weit entfernte Gefilde in östlicher Richtung, um ein für die Allgemeinheit relativ unbekanntes Land zu erkunden und dort zu botanisieren. Die Zeit ist zwar wieder unpassend, was die Gärtnerei anbelangt, doch im Hochsommer blühen dort keine Stauden mehr und meine gute Truppe zuhause wird das Ding schon schaukeln, da bin ich mir sehr sicher! Genau so, wie vor zwei Jahren, als ich im Iran war. Lass dich überraschen, wohin die Reise geht, ich verspreche dir auf jeden Fall mehr als nur einige Bilder! Ich bin schon ganz hibbelig!
Leider muss ich gerade deswegen erstmalig die Gartentage in Seitenstetten ausfallen lassen. aber am Wochenende, wo Seitenstetten stattfindet, kommt eine Busexkursion in die Gärtnerei und ich kann nicht ausgerechnet dann meine besten Leute wegschicken, dies wirst du sicher verstehen! Außerdem bin ich der Meinung, dass man als Kopf eines Betriebes an Pflanzenbörsen und Gartentagen nach Möglichkeit wenigstens an einem Tag persönlich anwesend zu sein hat.
Kohfidisch im Mittleren Burgenland steuere ich dieses Jahr zum zweiten Mal an, dies liegt terminlich genau vor unserer Reise. Wenn du einmal ein schönes Wochenende verbringen möchtest, dann empfehle ich dir unbedingt Kohfidisch! Ist nicht der allernächste Weg, aber sehr charmante Mitaussteller, ein wirklich verträumtes Ambiente, eine herrliche Umgebung mit gutem Wein… Ich hatte mich dort sehr wohl gefühlt!
Hier bahnt sich schon wieder ein Gewitter an und so will ich noch schnell die Lüftungen hochdrehen, denn Gewitter im Innviertel geht meistens mit Sturm einher und dann ist das Chaos wieder perfekt!
Dir alles Liebe!
Dein Staudengärtner Sarastro
Viele Grüße/ Best regards/ С уважением
Christian H. Kreß